SWR2 Wort zum Tag

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Geradezu idyllisch beginnt der bekannteste Psalm in der Bibel: Er malt einen Hirten mit seiner Herde. Der führt seine Schafe auf grüne Auen, wo sie satt werden können. Er bringt sie zu frischem Wasser, wo sie ihren Durst löschen. Er leitet sie sicher auf den richtigen Wegen. Er führt und beschützt sie, sie leiden keinen Mangel. Der Psalm beginnt mit den Worten: Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln. Man begreift: Da spricht einer von seinem Leben, voll Vertrauen, von einem behüteten Leben unter Gottes Schutz, von Gottes Führung und von dem, was Gott schenkt und was das Leben reich macht.

Geradezu idyllisch ist, was der Beter des Psalms da von sich und seinem Leben bekennt. Aber ist das wirklich seine Erfahrung? Kann seine Schilderung der Wirklichkeit standhalten? So behütet und geborgen ist menschliches Leben doch nicht! Ängste und Schrecken, Leiden und Schmerzen lösen die Zeiten des Glücks ja immer wieder ab und machen das Leben schwer. Seltsam, dass der Psalm gerade Menschen, die sich bedroht fühlen und leiden, anrührt und tröstet. Schildert der Psalm so etwas wie einen Traum mit einem Gegenbild zur bedrängenden Wirklichkeit, der Menschen entkommen wollen?

Man muss den plötzlichen Wechsel in den Bildern des Psalms wahrnehmen, um ihn zu verstehen. Es ist auf einmal gar nicht mehr idyllisch, wenn der Beter von dem dunklen Tal spricht, durch das er geführt wird, vom Tal der Todesschatten, wie es wörtlich heißt. Er ist dort bedroht. Es ist dunkel um ihn und in ihm. Im Bild vom finsteren Tal ist eingefangen, was Menschen bedrängt und bedroht. Man kann an Krankheit denken, an Lebenskrisen, aus denen man nicht mehr herauszukommen meint. Am Ende des Psalms ist plötzlich von Feinden die Rede. Bedrohungen durch andere Menschen fallen einem ein, Widerstände, die Lebensmöglichkeiten einschränken. Auch davon weiß der Beter dieses Psalms. Er kennt die dunklen Täler. Aber – er bekennt: Und ob ich schon wanderte im finstern Tal, fürchte ich kein Unglück; denn du bist bei mir, dein Stecken und Stab trösten mich.

Es ist der Kernsatz des Psalms, ein wunderbares Bekenntnis der Zuversicht. Die dunklen Täler im Leben werden nicht geleugnet. Aber gerade in ihnen kann man erfahren, dass man nicht verlassen ist. Du bist bei mir, darauf vertraut der Beter. Und glaubt darum auch dort an Schutz und Führung. Der Stecken ist die Keule, mit der der Hirte für die Herde kämpft. Mit dem Stab lenkt er sie – durch das dunkle Tal hindurch. Der gute Hirte des Neuen Testaments, Jesus, hat für seine Herde gekämpft – und sein Leben dabei verloren. Seinetwegen können wir auch in den dunklen Tälern glauben, dass wir keinen Augenblick verlassen sind.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=2349
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