SWR2 Wort zum Tag

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Das „Stammesdenken“ nimmt offenbar wieder zu - in Deutschland, bei unseren europäischen Nachbarn und in den USA. So formuliert es ein Politikwissenschaftler, nachdem er sich mit den Wahlen und politischen Diskussionen im letzten Jahr auseinandergesetzt hat. Jetzt stehen wir in Deutschland wieder vor einem Jahr mit wichtigen Wahlen: zuerst in drei Bundesländern, im Herbst wählen wir dann einen neuen Bundestag. Werden die Wahlkämpfe und Wahlergebnisse wieder von „Stammesdenken“ geprägt sein?

Dieses Stammesdenken lässt sich etwa so beschreiben: Mit allem was ich denke und fühle, bleibe ich unter meinesgleichen. Und wer meinesgleichen ist, das bestimmt meine Hautfarbe, meine ethnische oder soziale Herkunft und, ja, auch das, woran ich glaube. Welchem „Stamm“ ich angehöre, entscheidet aber auch, was ich verdiene. Und wie ich mich politisch informiere oder informieren lasse - auch da bleibe ich auf meinen Stamm begrenzt. Manche reden hier statt vom Stammesdenken auch von „Gesinnungsblasen“.

Wenn aber eine Gesellschaft zunehmend nur noch in verschiedenen „Gesinnungsblasen“ lebt, und jeder nur in seinen Stammesgrenzen denkt, dann wird das Zusammenleben immer schwieriger, letztlich unmöglich. Zum Stammesdenken gehört ja auch, dass ich die vom anderen Stamm ausgrenze.

Solches Denken zu entgrenzen und aufzubrechen könnte, eine gemeinsame Aufgabe für die Kirchen sein; gerade auch weil sich in allen Parteien Christinnen und Christen wiederfinden, auch in den verschiedenen Stämmen und Gesinnungsblasen.

Wir haben ein Vorbild: Jesus hat solches Stammesdenken nicht gekannt, er ist nicht unter seinesgleichen geblieben. Er hat ständig Grenzen überschritten, sich über soziale wie lokale Grenzen hinweg gesetzt: er begegnet vorbehaltlos dem Zöllner, hilft als Jude dem Soldaten der römischen Besatzungsmacht, lässt sich von der Ehebrecherin ansprechen.

Ebenso setzt er sich immer wieder über die Regeln seiner Religion hinweg: Der Sabbat soll für den Menschen da sein, nicht der Mensch für den Sabbat!

Ermutigt durch seine Botschaft, muss ich nicht unter meinesgleichen bleiben. Ermutigt von seiner Botschaft, müsste ich es doch schaffen, in meinem Denken enge Stammesgrenzen zu überschreiten.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=23484
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