Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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Manchmal erwischt es mich von einer Sekunde auf die andere. Hexenschuss. Eben noch voll aktiv, aufrecht und beweglich, jetzt auf Hilfe angewiesen, krumm und wie festgenagelt. Wenn’s ganz schlimm ist, muss ich für ein paar Tage ins Bett, muss liegen. Meine Familie läuft durchs Haus, ich liege. Da kommen Schuldgefühle auf. Ich fehle jetzt, die anderen müssen meine Arbeit mit erledigen, ich bin nutzlos, mache sogar noch zusätzlich Arbeit. Niederlage auf der ganzen Linie. Dem Wort „liegen“ und alles, was mit ihm zusammenhängt, hängt durchaus etwas Negatives an. Während „stehen“ positiv besetzt und – um im Wortspiel zu bleiben - „anständig“ ist.
Dabei verbringe ich ungefähr ein Drittel meines gesamten Lebens im Liegen. Die meiste Zeit davon schlafe ich. Aber nicht nur. Was passiert eigentlich mit mir, wenn ich liege und nicht schlafe? Tote, verlorene Zeit, sagt der rastlose Arbeiter. Zeit, an sich selbst zu denken, zur Ruhe zu kommen, sagen der Arzt oder der Seelsorger. Wenn mir ein Projekt oder eine Idee im Kopf herumgeht, mit der ich nicht weiter komme, dann muss ich häufig vom Stuhl aufspringen, spazieren gehen, mich bewegen. Irgendwann weiß ich dann, wie’s weitergeht. Wenn ich liege, dann bin ich nicht mehr so sehr vom Kopf bestimmt, dann rutscht mein Schwerpunkt regelrecht in den Bauch. Ich höre, wie es in mir gluckert und rumort, spüre Herz und Puls, ich bin irgendwie viel körperlicher als sonst. Auch Zimmer und Haus nehme ich anders wahr, ich höre Geräusche, die sonst untergehen, schnuppere die unterschiedlichsten Gerüche. Ich entdecke in mir und um mich herum Dinge, die sonst einfach untergehen. Wenn ich nicht gerade Schmerzen im Kreuz habe, fühle ich mich wohl. Liegen ist genauso gut und gehört genauso zum Menschen dazu wie Stehen und Gehen. Der Schöpfungsbericht der Bibel erzählt, dass Gott nach der ganzen Arbeit am siebten Tag ruht. Heißt das, er hat im Stehen mal kurz durchgeatmet? Ich stelle mir vor, er hat sich hingelegt und richtig geruht. Dieses Liegen und den Tag kommen lassen und einfach mal genießen, dass man etwas getan hat, das ist so wichtig wie das beherzte Handeln und Zupacken. Also: wenn Sie heute viel arbeiten und Leistung bringen, dann liegen sie richtig. Wenn sie liegen und mal mehr empfinden als Langeweile und Müdigkeit – dann auch.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=2346
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