SWR3 Gedanken

SWR3 Gedanken

Mein altes Poesiealbum. Noch aus meiner Schulzeit. Haben Sie auch so eins? Meins ist voll mit Pressbildchen und Lebensweisheiten. Erheitert lese ich, was mir meine Mitschüler damals mit auf den Weg geben wollten. An einem Spruch bleibe ich hängen. „Lache und die Welt lacht mit dir. Weine und du weinst allein.“ Mann, wie lebensklug. Und zugleich: wie falsch.

Lache, und die Welt lacht mit dir. Stimmt. Fröhlichkeit hat etwas Ansteckendes. Sie reißt andere Menschen mit. Frohe Menschen strahlen etwas aus, strahlen Freude auf andere Menschen ab. Lache und die Welt lacht mit dir.

Und wie ist das mit der anderen Seite: Weine, und du weinst allein. Stimmt das auch? Viele verkriechen sich tatsächlich mit ihren Tränen. Bevor einer einen dummen Spruch reißt, weinen sie lieber allein. Andere wollen mit ihrer Traurigkeit ihrer Umgebung nicht die Laune versauen. Wieder andere halten Tränen für Schwäche, und die soll keiner sehen.

Aber das hat seinen Preis. Die Tränen, die ich allein weine, kann keiner trocknen. Und die Traurigkeit, die keiner sieht, kann keiner trösten. Ich denke, Traurigkeit hat auch etwas Ansteckendes. Etwas ansteckend Menschliches. Etwas, das in vielen von uns eines der besten Gefühle zum Vorschein bringt, über das wir Menschen verfügen: das Mitgefühl.

Wir können mit anderen fühlen. Ihre Freude mit-fühlen, ihren Schmerz mit-fühlen. Und wenn wir das tun, wird die Freude mehr und der Schmerz weniger.

Ich stelle mein Poesiealbum zurück ins Regal und denke, dass eben nicht jede Lebensweisheit klug und hilfreich ist. Und wenn schon, dass ist mir diese hier lieber: Geteiltes Leid ist halbes Leid.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=23448
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