SWR4 Abendgedanken

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Ich kenne viele Leute, die unter Depressionen leiden. Sie ist eine Volkskrankheit und kann jeden betreffen. Aber man kann sie behandeln. Trotzdem gibt es Leute, bei denen sie schwer verläuft und leider tödlich enden kann.

Ich bin selbst nicht betroffen, aber ich kenne depressive Stimmungen. Die sind zwar im Vergleich zu einer Depression harmlos, aber wenn ich mit depressiven Menschen spreche, kommt es mir vor, als ob meine Stimmungen mir eine leichte Ahnung geben von dem, was Menschen mit Depressionen erleiden. Zumindest verstehe ich deshalb ein bisschen, wie schwer es ist, wenn man über diese negativen Stimmungen redet und seine traurige Seite zeigt.

Ich habe nämlich oft den Eindruck, dass ich mich in der Gesellschaft von anderen glücklich zeigen muss. Weil viele sich nur mit lächelnden Gesichtern darstellen. Wenn ich die SMS-Nachrichten in meinem Smartphone durchblättere, dann überwiegen die Bilder mit den lächelnden Gesichtern, den Smileys. Dabei wäre es mir wichtig, dass meine Freunde mir sagen können, wenn es ihnen nicht gut geht. Und umgekehrt will ich es ihnen ja auch zeigen können, ohne dass ich mich dazu überwinden muss.

Es gibt therapeutische Ansätze, bei denen die Depression nicht verteufelt wird. Der Betroffene kann sogar lernen, sie als gesunde Reaktion der Seele zu sehen. Und wenn sie das ist, dann bedeutet das etwas. Als ob die Depression eine Person wäre, die im eigenen Leben zu Besuch kommt und traurig oder wütend ist. Der Tiefenpsychologe C.G. Jung spricht von einer Dame in Schwarz, die zu Besuch kommt. Wenn sie da ist, kann ich fragen, was sie zu sagen hat. Ich habe es bei Leuten erlebt, bei denen jemand gestorben ist. Sie meinen oft schon ein paar Wochen später, dass sie zeigen müssen, dass sie jetzt drüber weg sind. Obwohl ich merke, dass sie hinter dem Lächeln noch traurig sind. Dabei finde ich es wichtig, dass sie sich genügend Zeit zum Traurigsein nehmen können. Denn wie sollten sie je wieder richtig fröhlich sein, wenn sie nicht traurig sein können?

Bei mir ist es oft so, dass ich mich erschöpft oder traurig fühle, wenn ich mir keine Pausen und keine Erholung gegönnt habe. Weil ich mir zu viel abverlange. Das erschöpft einfach. Körperlich, geistig und seelisch. Wenn ich das spüre, versuche ich zu hören, was mir diese Stimmung sagt. Und das ist meistens: Hör auf! Verlang nicht zuviel von Dir!

Ich bin überzeugt, nur wenn ich erschöpft sein kann, entstehen Kräfte für Neues. Und nur, wenn ich Raum habe, um traurig zu sein, kann ich auch wieder fröhlich sein.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=23383
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