SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

Wenn ein Tag zu Ende geht, lasse ich meistens nochmals Revue passieren, was heute gut gewesen ist. Aber ich kaue oft auch noch an ein paar Brocken, die ich erlebt habe. Zum Beispiel, wenn ich wieder mal zu schnell war. Ein Schüler hat sich im Unterricht gemeldet. Ich habe meistens schon eine Vorstellung, was er sagen wird, obwohl das ja gar nicht stimmen kann. Deshalb habe ich ihn nicht ausreden lassen, sondern unterbrochen und korrigiert. Nach der Stunde hat mich ein anderer Schüler darauf hingewiesen. Auch wenn ich als Lehrer die Autorität bin und er der Schüler, finde ich so etwas wichtig. Und mutig. Ich habe Respekt vor Schülern, die mich kritisieren. Und ich will ja, dass sie lernen wie man Kritik vorbringt.

Wenn ich Fehler immer wieder mache, können sie zur Gewohnheit werden. Das kommt vor. Das Dumme daran ist, dass ich sie dann selbst nicht mehr merke. Und wenn ich da etwas verändern will, schaffe ich das gar nicht ohne Menschen, die mich darauf hinweisen. Freundlich, aber direkt. Meine Schüler machen das wirklich behutsam. Wenn sie es nicht täten, ich hätte es dieses Mal wahrscheinlich auch wieder nicht bemerkt.

Im ersten Moment bin ich vielleicht überrascht, wenn so etwas kommt. Aber mir ist wichtig, dass ich die Kritik verstehe. Nur so hilft sie ja weiter. Deshalb bedanke ich mich auch für diese Kritik. Und ich bitte um Verständnis, wenn ich nicht morgen schon ein anderer Mensch geworden bin. Ich mache halt auch Fehler und habe meine Grenzen. Das ist menschlich. Und menschlich will ich dann auch im Umgang mit Fehlern sein. Also die Fehler anerkennen, ihnen mit Nachsicht begegnen und sehen, wie ich etwas verändern kann.

Wenn ich mich dann abends aus der Distanz nochmals mit solchen kritischen Momenten beschäftige, ist es mir wichtig, dass ich nicht beim Negativen stehe bleibe. Ich will nicht, dass das Negative mit ins Bett, in den Schlaf kommt. Deshalb stelle ich mir die Veränderung nochmals positiv vor. Also male ich mir aus, wie ich den Schüler ausrede lasse, wie ich darüber nachdenke, was er gesagt hat, und dann erst darauf reagiere. Mit diesem positiven Bild beschließe ich meinen Arbeitstag. Und mit dem Gefühl, dass ich nicht perfekt bin und es auch nicht sein muss. Aber auch mit der Lust auf den neuen Anlauf, ich morgen nehme.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=23382
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