SWR2 Wort zum Tag

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Bei Meister Eckhart, dem Mystiker der weihnachtlichen Gottesgeburt, ist zu lesen: „Wäre meine Seele so bereit und fände Gott so weit Raum in ihr, wie in der Seele unseres Herrn Jesus Christus, er würde sie ebenso völlig mit dieser Flut erfüllen; denn der Heilige Geist vermag sich nicht zu enthalten, in alles das zu fließen, worin er Raum findet und soweit wie er Raum findet“(Predigt 81).  Da spricht die typisch christliche Sehnsucht, im eigenen Leben das zu werden, was an Jesus so anziehend ist und dessentwegen die Glaubenden ihn ihren Christus nennen, ihren Schatz. Für Meister Eckhart ist die Menschwerdung Gottes in Jesus Christus kein abgeschlossener Vorgang, Weihnachten in Betlehem war sozusagen nur der Anfang. Was in Jesus geglückt ist, das will und soll in jedem Menschen Ausdruck finden und gelingen – und zwar nicht als Kopie, sondern als Original. Das ist für Meister Eckhart ein ständiger Geburtsvorgang: „Gott wirkt, und ich werde“, sagt er einmal. Die Gott-Durchlässigkeit, die Jesus in seinem Reden und Tun auszeichnet, die will in jedem Menschenleben Gestalt finden. Weihnachten ist nicht mit dem 25. Dezember abgeschlossen , ganz im Gegenteil: Es fängt jetzt erst an. Gern braucht Eckhart das Bild vom Gefäß: Wenn Wasser in einem Glas ist, kann nicht gleichzeitig Wein eingegossen werden; wenn Erde in einem Eimer ist, dann passt kaum Wasser hinein. Wenn der Mensch voll ist mit „Ego“-Geschichten, mit Plänen und Sorgen und Eigenwillen, dann hat der Geist Gottes keine Chance. Dann kann Gott nicht Mensch werden, dann kann die Kluft zwischen Gott und Welt nicht überwunden werden. Das Projekt Menschwerdung ist in Jesus Christus endgültig geglückt,  dieses Datum ist unwiderruflich. Weihnachtlich leben und glauben lernen, heißt deshalb, von Jesus Christus auszugehen und ihn als das Geschenk schlechthin zu begreifen. Es ist  wirklich möglich, Gott zur Welt kommen zu lassen; es ist wirklich möglich, im Sinne Jesu Mensch zu werden, freiwillig und mit Lust und Entschiedenheit. „Ich bin des gewiss: Wäre meine Seele so bereit und fände Gott soweit Raum in ihr, wie in der Seele unseres Herrn Jesus Christus, er würde sie ebenso völlig mit dieser Flut erfüllen; denn der Heilige Geist vermag sich nicht zu enthalten, in alles das zu fließen, worin er Raum findet und soweit, wie er darin Raum findet.“  Da spricht jemand mit großem Selbst- und Gottesbewusstsein, da ist jemand bereit, Mensch zu werden nach dem Format Jesu und in seiner Spur. Jeder Tag  wird zur Einladung, damit zu beginnen und dem Dasein lebhaft zuzustimmen.

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