Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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Demut macht sympathisch. Mehr noch: Demut erhöht ein Volk. Das hat ein Kollege vor kurzem zu mir gesagt. Er hat viele Jahre in Israel gelebt. Und erlebt: Dort bewundern viele Israelis uns Deutsche. Warum?

Viele Israelis schicken ihre Kinder nach Deutschland. Sie wollen wissen, wie es in der Straße aussieht, wo ihre Großeltern gelebt haben. Und ob das Haus noch steht, in dem sie gewohnt haben. Bevor die Gestapo sie abgeholt hat. Bevor sie im Konzentrationslager umgekommen sind.

Und wenn die jungen Israeli dann das Haus ihrer Großeltern gefunden haben, sehen sie davor einen golden glänzenden Stein auf dem Gehweg. Und auf dem Stein steht der Name ihrer Großeltern. Mit dem Datum, an dem sie abgeholt wurden ins KZ. Und das erzählen sie ihren Eltern. Sie erzählen von diesen Stolpersteinen und von den Mahnmahlen und dass die Deutschen die Erinnerung an ihre Großeltern und an die Schuld der Nazizeit wach halten. Und genau das berührt viele Israelis und verändert ihre Beziehung zu uns Deutschen.

Deshalb glaube ich: wirtschaftliche Stärke und Wohlstand ist nicht alles. Auf den Geist kommt es an. Den Geist der Demut. Jesus hat mal gesagt:  „Wer sich selbst erniedrigt, wird erhöht werden.“  Ich verstehe das so: wenn wir darauf verzichten, uns selber groß zu machen, wenn wir bereit sind, mit den Schatten unserer Vergangenheit zu leben, dann hilft uns Gott dabei. Er hilft uns, die Schuld zu tragen und schenkt uns einen neuen Anfang.

Unsere Geschichte legt ein beredtes Zeugnis davon ab. In den letzten siebzig Jahren haben wir nicht nur ein Wirtschaftswunder erleben dürfen. Wir erleben auch, dass Menschen in anderen Ländern uns dafür bewundern, wie wir mit unserer Schuld umgehen. Dass wir die Erinnerung an die Opfer dieser Schuld pflegen und damit leben. Und genau das macht uns groß. Dass wir darauf verzichten, uns selber groß zu machen.

Das ist nicht einfach. Aber darauf vertraue ich. Demut macht Menschen sympathisch. Und Demut erhöht ein Volk.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=23282
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