Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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Manchmal wäre ich gern eine Bescheidwisserin. Manchmal würde ich gern sagen: Ich weiß, was die wahre Religion ist. Ich weiß, wer die Guten sind und wer die Bösen. Manchmal würde ich gerne Mauern bauen, um die Guten- zu denen ich natürlich gehöre- zu schützen.

Aber ich bin keine Bescheidwisserin. Und ich glaube: niemand ist das. Ob das ein Muslim ist oder ein Christ, ein Jude oder ein Buddhist. Niemand weiß, was die wahre Religion ist, niemand kann Anderen ins Herz schauen und sagen, ob die zu den Guten oder den Bösen gehören. Gott allein weiß das. Wir können aber an Gott glauben. Und mit Gott Erfahrungen machen.

Für mich ist der Glaube vor allem ein Wagnis. Ich vertraue darauf, dass Gott da ist. Manchmal kann ich das nicht recht glauben. Manchmal kann ich seine Nähe nicht spüren. Dann tu ich einfach mal so. Und hoffe, dass Gott trotzdem da ist, dass er mit mir geht. Dass er mir einen Engel schickt, der mich beschützt und mir sagt, wo es langgeht.

Für mich als Christin hat Gott auch ein Gesicht. Das Gesicht eines kleinen, hilflosen Kindes. Gott macht sich so verletzlich wie ein Mensch nur sein kann. Ich muss an mein Enkelkind denken. Das durfte ich im Arm halten, als es gerade einen Tag alt war. So zarte Haut, so dünne Beinchen. Die Augen so groß, wenn sie offen waren. Es war ein heiliger Moment, dieses Menschenkind im Arm zu halten und es lieb haben zu dürfen.

Nein, ich weiß nicht, ob dieses Kind das Schönste, das Intelligenteste und das Beste Kind aller Zeiten ist. Vielleicht gibt es Großmütter, die noch viel schönere Enkelkinder haben. Aber für mich ist es das Schönste und Größte. Weil es zu mir gehört und weil ich es lieb habe.

Und so ist das mit dem Glauben. Ich weiß nicht, ob ich an den wahren Gott glaube. Aber ich vertraue darauf, dass ich der Wahrheit näher komme, wenn ich mich Gott anvertraue.

Der Gott, dem ich vertraue, wird Mensch. Damit wir nicht im Himmel der Ideen nach ihm suchen. Gott wird Mensch, damit wir Mensch bleiben. Und einander als Menschen begegnen. Egal, woran die Anderen denn so glauben. Als Menschen und nicht als Bescheidwisser. Dass wir anderen Brücken bauen und für sie da sind. Besonders, wenn sie so schutzlos und zerbrechlich sind wie das Jesuskind in der Krippe.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=23280
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