SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

Hinhören ist heutzutage eine Kunst. Flugzeuge im Tiefflug, stark befahrene Straßen, Musik, gerade jetzt in der Adventszeit, an jeder Ecke. Wir sind umgeben von Lärm. „Lärmvermüllung“ sagen Fachleute dazu. Ein Entkommen ist kaum möglich. Selbst wenn ich zu Hause bleibe oder vielleicht sogar ans Bett gefesselt bin. Auch da gibt es Fernsehen und Radio, gibt es Krach, der durchs Fenster dringt, das Rumpeln der Bahn.

Dabei ist Hören elementar. Schon im Mutterleib können Kinder hören. Und bis zuletzt ist auch bei Sterbenden dieser Sinn fürs Hören wach. Selbst dann, wenn alle anderen Sinne schon nicht mehr arbeiten.

Doch der tägliche Lärm wirkt sich aus. Hinhören ist eine Kunst, die ausgestorben scheint. Kaum jemand hat Zeit und Lust genau hinzuhören. Auf die Welt – und auf das, was andere sagen. Aber stimmt das eigentlich?

Eine Geschichte übers Hinhören geht so. Zwei alte Freunde treffen sich. Der eine kommt aus der Stadt, der andere ist schon vor langer Zeit auf das Land gezogen. Sie spazieren durch die belebten Straßen, da bleibt der Freund vom Land stehen und sagt: „Hörst du auch, was ich höre?“ „Klar“, sagte der Andere, „Hupen, Reifenquietschen, Menschengeschrei, Verkehrslärm eben.“ Da sagt der Freund vom Land: „Hörst du auch eine Grille zirpen?“ „Nee“, schüttelt der Stadtmensch seinen Kopf, „die gibt’s doch gar nicht in der Stadt.“ Der Freund vom Land dreht sich um, geht ein paar Schritte auf eine Mauer zu, geht näher an den Efeu heran, der da wächst. Er winkt seinen Freund aus der Stadt heran. Und tatsächlich, jetzt können beide die Grille hören. Ganz leise, aber deutlich. Der Freund aus der Stadt sagt: „Du hörst einfach besser, du lebst ja nicht mit all dem Lärm hier.“ „Glaub ich nicht“, sagt der Mann vom Land. Er kramt in seiner Hosentasche, holt ein Ein-Euro-Stück heraus und wirft es auf den Gehweg. Das Geldstück klimpert. Sofort bleibt jemand stehen, blickt sich um. „Da hast du es“, sagt der Freund vom Land, „das war auch nicht viel lauter, als eine zirpende Grille. Wir hören halt vor allem auf das, was wir hören wollen, was uns wichtig ist.“

https://www.kirche-im-swr.de/?m=23271
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