Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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Fast jeden Morgen rasiere ich mich. Das ist eine echte Herausforderung. Eine Art Morgenmeditation. Eine Aufmerksamkeitsmeditation. Warum? Ich greife noch fast blind von der Nacht nach Rasierschaum, Pinsel und Rasierer. Werfe Wasser ins Gesicht. Seife Kinn und Hals ein, verteile den Schaum. Und bin dann gezwungen, aufzupassen. Einmal geträumt und schon habe ich mich geschnitten. Passiert zwar selten – aber wohl nur, weil ich eben aufmerksam bin.

Warum ist das eine Meditation? Aufmerksam zu sein, das ist eine wichtige Übung in vielen Religionen. So gibt es etwa im Christentum das »Gebet der liebenden Aufmerksamkeit«. Es geht aufIgnatius von Loyola zurück. Der gründete im 16. Jahrhundert den Orden der Jesuiten. Er schlägt seinen Ordensbrüdern einen Tagesrückblick vor. Am Abend soll man sich 10 bis 15 Minuten Zeit nehmen. Und den Tag aufmerksam durchgehen, ihn sozusagen ins Gebet nehmen.

Das gleiche kann ich auch morgens machen. Wenn ich mich voller Aufmerksamkeit rasiere. Und dabei den Gedanken ihren Lauf lassen. Kann mich auf den Tag konzentrieren. Danken, dass ich wach bin und Gott mir einen neuen Tag schenkt. Bitten, dass dieser Tag heute gelingen kann. Ich kann mich einstellen auf das, was kommen wird. Kann um Kraft bitten, wenn ich weiß, dass ich eine schwere Aufgabe vor mir habe. Kann um Gelassenheit bitten – wenn der Zug Verspätung hat, wenn die Straße wieder mal verstopft ist, wenn die Kinder an einem zerren werden, oder wenn ich selbst mit mir unzufrieden werde.

Das alles aber gelingt nur, wenn ich aufmerksam durch den Tag gehe. Ich fange damit beim Rasieren an. Aber aufmerksam kann ich morgens auch in vielen anderen Situationen sein. Zum Beispiel, wenn ich den Kindern ein Pausenbrot schmiere. Oder den Tee aufsetze. Kaffee mache. Ich muss nur die Situationen nutzen, die sich bieten. Und auch das geht nur, wenn ich aufmerksam bin.

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