SWR2 Wort zum Tag

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In meinem Büro türmen sich die Kartons. Nächste Woche steht der Umzug in ein Ausweichquartier an. Das Bürogebäude, in dem ich arbeite, muss saniert werden. So ein Umzug bringt zu Tage, was man im Laufe der Jahre und Jahrzehnte alles an Akten, Büchern und Unterlagen angesammelt hat. Da unser Interimsbüro deutlich kleiner sein wird, muss ich immer wieder überlegen: was brauche ich unbedingt für die laufende Arbeit, was kommt erst mal in Kartons verpackt ins Lager, und was kann ich einfach wegwerfen, weil es niemand mehr braucht.

Das ist eine Arbeit, die zwar mühsam aber durchaus sinnvoll ist. Nicht nur wegen des konkreten Umzugs. Die katholische Kirche  hat eine ausgeprägte Tendenz zu sammeln und zu bewahren.  Das ist gerade in unserer schnelllebigen  Zeit auch eine wichtige Aufgabe. Die Kirche lebt aus einer Geschichte, die seit 2000 Jahren andauert. So lange schon lassen  sich Menschen von Jesus inspirieren: von dem, was er über Gott gesagt hat und noch mehr, wie er gelebt hat.

Aber eine Kirche, die nur ihre Traditionen bewahrt, die nur das wiederholt, was sie immer schon gesagt hat, verliert den Anschluss an die Gegenwart. Und so erleben viele Menschen den christlichen Glauben:  als  eine – vielleicht faszinierende -  Sonderwelt, die jedoch mit dem normalen Leben nicht viel zu tun hat.

Die Botschaft Jesu bleibt immer dieselbe. Aber jede  Generation muss sie neu verstehen und  in ihre Zeit übersetzen. Was ist wirklich wesentlich? Und was gehört eher ins „Archiv“? Papst Franziskus stellt sich diesen Fragen:. Ob es um die Ökumene geht, um Paare, die in zweiter Ehe verheiratet sind oder um den Umgang mit Homosexuellen . Franziskus hat den Mut, Menschen in ihrer Sehnsucht nach einem gelingenden Leben ernst zu nehmen – auch wenn sie nicht den traditionellen katholischen Normen entsprechen. Er orientiert sich dabei an Jesus selbst. Denn Jesus hat nicht zuerst gefragt: erfüllt ein Mensch alle moralischen Ansprüche, hält er sich an alle Gesetze? Jesus hatte die Fähigkeit, die Sehnsucht der Menschen zu spüren, die tief in ihrem Herzen wurzelt: die Sehnsucht, gesehen und akzeptiert zu werden; die Sehnsucht nach einen aufrechten und erfüllten Leben, die Sehnsucht dazuzugehören – und die Sehnsucht, von Gott geliebt zu werden, auch wenn man schuldig geworden ist. Diese Sehnsucht will Gott stillen und so können Verletzungen heilen und Menschen können aus destruktiven Lebensmustern herauskommen.

Diese frohe Botschaft Jesu gehört nicht ins Archiv. Sie bleibt aktuell zu jeder Zeit.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=23192
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