SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

In den dunklen Novembertagen stellen sich mir manche Fragen noch drängender als sonst. Etwa wenn ich an die Schöpfung denke. Die ist – trotz aller Anstrengungen – höchst gefährdet. Die Menschen, die als Flüchtlinge unter uns leben, führen uns den bedrohlichen Zustand der Welt unübersehbar vor Augen. Ich frage mich: In welchem Verhältnis steht dieser Zustand der Welt zur Botschaft Jesu: „Das Reich Gottes ist nahe herbeigekommen?“ (Markus 1,15) Was ist mein Glaube angesichts solcher Fragen dann noch wert?  

Eine hilfreiche Antwort habe ich beim Apostel Paulus gefunden. Er schreibt an die Gemeinde der pulsierenden Weltstadt Rom: „Die Schöpfung seufzt und ist voller Angst -  bis heute!“  (Römer 8,22) Wenn Paulus von Schöpfung spricht, geht es nicht nur um Biologie. Es geht um das Leben überhaupt. Und um das, was die ganze Welt zusammenhält. Für Paulus steht nicht in Frage, was Gott versprochen hat. Alles wird gut werden. Auch als Christ kann ich das nur hoffen, oder besser noch, glauben. Die Verwirklichung steht noch aus. Die Welt ist gewissermaßen guter Hoffnung, ist schwanger mit dem, was noch aussteht. In dieser Welt des „Vorletzten“, wie der Theologe Dietrich Bonhoeffer das genannt hat, versuchen unzählige Menschen einen Beitrag zu leisten, dass es in der Welt gerechter zugeht und friedlicher. Diese Welt ist auch der Ort meines Glaubens. Diese Welt, die immer noch seufzt. Und in der mir vieles Angst macht. Und anderen womöglich noch viel mehr als mir.

Ich bin sicher, dass dieser vorletzten Welt irgendwann eine letzte, bessere Welt folgen wird. Ich glaube „auf Hoffnung hin“ (Römer 8,24), wie Paulus das beschreibt. Diese Hoffnung mag kühn sein. Aber sie ist nicht grundlos. Dafür bürgt die lange Geschichte des Gottesglaubens. Dafür stehen Menschen, die mit diesem Glauben auch unter schwierigen Bedingungen überlebt haben. Dafür stehen Menschen, die für andere eingetreten sind, ohne dass sie einen Vorteil davon hatten. Dafür bürgen meine eigenen Erfahrungen, wenn ich Gottes neue Welt aufblitzen sehe. Dafür bürgen die vielen Beispiele des Engagements von Menschen für diese Welt. Wenn ein Frieden im Kleinen gelingt. Zwischen Nachbarn. In der Familie. Wenn Menschen bereit sind zu teilen. Wenn Liebe eine Chance hat. Dann kommt das Seufzen und Wüten der Welt für einen Augenblick zur Ruhe. Und hoffentlich auch für sie!

https://www.kirche-im-swr.de/?m=23189
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