Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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Trainieren für Hartz IV. Dieses Lernprogramm stellt der Leiter einer Sonderschule selbstbewusst im Fernsehen vor. Seine Einschätzung: Seine Schülerinnen und Schüler haben sowieso keine Chance auf einen Arbeits- oder Ausbildungsplatz. deshalb trainiert er mit der Abschlussklasse das Leben unter den Bedingungen von Hartz IV: Wie viel Wohnraum steht mir zu? Was darf ich dazu verdienen? Wann muss ich einen Ein-Euro-Job annehmen - und so weiter. Ein Mädchen will sich damit nicht abfinden. Doch der langzeitarbeitslose Vater und der Lehrer reden ihr gemeinsam jede Hoffnung aus. Sie nennen das Realismus.
Ich nenne das einen Skandal. Haben wir unseren jungen Menschen wirklich nicht mehr zu bieten als schulisches Anpassungstraining für das Leben in Armut? Dann hätten wir alle kläglich versagt.
Dabei besteht der Skandal nicht alleine in der Hoffnungslosigkeit der Eltern, Lehrer und Jugendlichen. Er besteht auch darin, dass wir es mit all unserem Reichtum nicht hinbekommen, allen jungen Leuten eine angemessene Ausbildung anzubieten - und ihnen die realistische Hoffnung auf ein Leben zu vermitteln, in dem sie wenigstens in bescheidenem Umfang für sich selbst sorgen können.
Sicher: Eine Menge mehr oder minder aussichtsreicher sozial- und bildungspolitischer Vorschläge liegen bereits auf dem Tisch. Aber noch wichtiger scheint mir die Frage, welche Haltung brauchen wir, um eine solche Situation zu verändern? Hier sind viele Antworten möglich und nötig. Eine Antwort gibt die Bibel. Sie behauptet: Wenn in einer Gesellschaft Reichtum und Armut nebeneinander existieren, gibt es nur eine Möglichkeit: Teilen. Die Bibel betrachtet nämlich Wohlstand nicht als persönlichen Besitz, sondern als Verpflichtung und Chance zur Hilfe.
„Teilen“ hätte im vorliegenden Fall einige handfeste Konsequenzen. Mehr Geld für Ausbildungsplätze speziell für Jugendliche aus Sonderschulen, Stärkung des Könnens und des Selbstbewusstseins der jungen Leute durch zusätzliche Angebote und so weiter. Vor allem ändert das Teilen aber den Blick auf die Wirklichkeit: Wenn ich meinen Wohlstand teile, mache ich die Lasten des anderen zu meinen eigenen. Ob die jungen Leute einen Ausbildungsplatz bekommen, ist nicht mehr nur ihre Sache. Es ist auch unsere Sache.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=2316
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