SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

Als ich kürzlich auf einer längeren Zugfahrt war, nahm ich entgegen meiner Gewohnheit in einem Abteil Platz statt im Großraumwagen. Einer meiner fünf Mitreisenden fing an, mit einem anderen über Politik zu reden und das ziemlich laut und aufgeregt. Es sei ja wohl keine Politik, so viele Flüchtlinge ins Land zu lassen und wer das tue, der fahre das Land komplett an die Wand. Es war unmöglich, nicht zuzuhören, aber ich versuchte es und las weiter in meiner Zeitschrift. Es tat mir fast körperlich weh, als die Parolen immer kruder und aggressiver wurden, die der Mann losließ – aber ich wollte mich doch lieber raushalten, schließlich sprach er nicht direkt mit mir. Bald könnte man bei uns nicht mehr Weihnachten feiern, sondern nur noch muslimische Feste und wir würden zunehmend zu Fremden im eigenen Land. Mit Mitleid für Leute mit Problemen käme man nirgends hin und wenn es umgekehrt wäre, würden die uns sicher nicht helfen, für die wir jetzt die Caritas spielen. Die etablierten Politiker hätten überhaupt kein Konzept als einfach nur die Grenzen zu öffnen und unsere Interessen als Deutsche schlichtweg auszuverkaufen.

Irgendwann konnte ich nicht mehr still dasitzen und habe mich eingeschaltet. Das schien den lauten Herrn zunächst sehr zu verwundern, dann hörte er aber immerhin auch meinen Argumenten zu. Ich legte dar, wie die sogenannte etablierte Politik meiner Meinung nach durchaus Konzepte hat, wie mit der Flüchtlingskrise umgegangen werden kann. Ich erklärte, warum ich Solidarität für den zentralen Wert internationaler Politik halte und dass ich mich als gläubigen Christen verstehe, der Nächstenliebe und Hilfe für Schwache für grundlegend hält, auch in Politik und Gesellschaft. Ich musste schon selbst einigermaßen energisch werden, um mich gegen das polternde Auftreten meines Gegenübers zu behaupten, aber es machte durchaus Eindruck. Der Mann hatte bei seinem Auftreten gar nicht mit Widerstand gerechnet und wirkte überrascht. Er wurde deutlich leiser und es entwickelte sich eine deutlich sachlichere Atmosphäre.

Dieses Erlebnis scheint mir symptomatisch für etwas, was ich bisher eigentlich lieber von mir fernhalten wollte: Menschen, die aus christlicher oder sonstiger Überzeugung an Werte wie Solidarität und Offenheit glauben, die gegen Abschottung und Konzentration auf Eigeninteresse sind, müssen dieser Tage wohl oder übel aufstehen und sich Gehör verschaffen. Spätestens seit dem Wahlsieg von Donald Trump in den USA ist es nicht mehr geboten, sich herauszuhalten und zu warten, bis der Sturm der Populisten vorübergezogen ist. Zentrale Werte des zivilisierten Miteinanders und des Gemeinwohls stehen auf dem Spiel. Für diese Werte muss jetzt gekämpft werden und zwar entschlossen und vehement!

https://www.kirche-im-swr.de/?m=23148
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