Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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Auf der anderen Straßenseite schlägt ein Mann eine Frau. Ich sehe es und bin unsicher, was ich machen soll. Da stößt mich ein junger Mann an und sagt: „Sehen Sie, was da passiert? Das können wir doch nicht zulassen, kommen Sie, wir gehen da rüber.“ Und schon überqueren wir gemeinsam die Straße, drängen uns zwischen den Mann und die Frau und fordern den Schläger auf, sofort aufzuhören. Der Angesprochene zögert, setzt zum Widerspruch an, hebt die Hand. Doch dabei bleibt es. Er riskiert es nicht, sich mit zwei fremden Männern anzulegen. Die Frau bringt sich in Sicherheit.
Ich weiß nicht, was ich alleine getan hätte. Vielleicht die Polizei gerufen, vielleicht auch all meinen Mut zusammengenommen und mich eingemischt. Aber als mich der junge Mann ansprach, war klar, was zu tun ist und was getan werden kann. Denn zu zweit hatten wir gute Chancen, den Gewalttäter in seine Schranken zu verweisen.
Aber das allein ist nichts Besonderes. Natürlich kann man zu zweit Dinge bewältigen, die man sich alleine vielleicht nicht zutraut. So auch hier: Zwei gegen einen, da ist klar, wer die besseren Karten hat.
Viel mehr hat mich beeindruckt, wie selbstverständlich mich der junge Mann ansprach. Wie selbstverständlich er mich, einen völlig Fremden, aufforderte, mit einzugreifen. Keine Frage, keine Bitte, keine Begründung. Er setzte einfach voraus, dass bei einer solchen Gewalttat niemand wegsehen darf. Dass wir gemeinsam handeln müssen.
Das Vertrauen des jungen Mannes imponierte mir noch mehr als seine Zivilcourage. Mit seinem Vertrauen wischte er meine eigene Unsicherheit weg. Und zugleich vermittelte er mir eine bleibende Erfahrung: Man ist nicht allein, wenn man das Richtige erkannt hat und tun will. Schon mit dem Nächstbesten kann man sich verbünden, um die Dinge zum Besseren zu wenden. Man muss ihn nur ansprechen.


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