SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

Es gibt Situationen, in denen wir es deutlich spüren, wenn Worte fehl am Platz sind: ein Trauerfall zum Beispiel oder die erste Annäherung nach einem Streit. In solchen Situationen erscheinen Worte manchmal floskelhaft und oberflächlich. Und es könnte sein, dass uns tragfähigere Worte geschenkt werden, wenn wir das Schweigen aushalten oder auch die Stille suchen.

Oft begegne ich eher dem Gegenteil. Schweigen scheint etwas Negatives zu sein: Wer schweigt, hat nichts zu sagen – heißt es dann. Oder: Wer schweigt, macht sich schuldig. Klar, auch das gibt es.

Aber mir geht es um etwas anderes: Schweigen – recht verstanden – hat nichts mit Stummsein zu tun oder mit Feigheit. Ich rede von Schweigen auch nicht im Sinne eines Kommunikationsabbruchs. Schweigen ist mehr als dies, dass einem die Worte fehlen oder ausgehen – auch wenn wir manchmal an die Grenzen unseres Redens geführt werden müssen, um das einzusehen.

Schweigen ist etwas Aktives. Man muss es tun, ganz bewusst. Schweigen ist eine Kunst. Es ist die Fähigkeit, in einer bestimmten Situation auf Worte zu verzichten, weil man spürt und erkennt, dass Worte hier und jetzt nichts ausrichten. Wenn ich am Grab eines Freundes stehe oder wenn ich jemandem zur Versöhnung in die Augen sehe, dann braucht es in erster Linie keine Worte, sondern bewusstes und erfülltes Schweigen.

Schweigen – für mich ist das eine Art schöpferische Stille. Es ist die Ruhe von allen Worten, in der dann Worte sozusagen neu geboren werden können. Schweigen ist Warten – und so auch die Quelle des Redens.

Der Mensch hat seine Sprache; das ist eine ungeheure Kraft. Er kann sich mit seiner Sprache auf faszinierende Weise ausdrücken. Zu schnell aber wird vergessen, dass die Sprachfähigkeit nicht nur im Worte-Machen liegt, sondern auch im bewussten Schweigen. Denn der Mensch ist keineswegs dazu verdammt, immerfort nur zu reden. Er hat die Wahl zwischen Reden und Schweigen.

Mein Eindruck ist, dass wir das Schweigen erst wieder lernen müssen. In einem Alltag, der vollgestopft ist mit Worten, oftmals unnötigen Worten, benötigen wir so etwas wie eine „Schule des Schweigens“. Augenblicke der Ruhe, Inseln der Stille, wo geschwiegen wird – wo auch zugehört wird, und wo im Schweigen neue Worte entstehen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=23104
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