Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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Es ist geschafft! Das Haus meiner Urgroßeltern und Großeltern ist leergeräumt. Viele Wochen hat das alles gedauert. Ich hatte viele schlaflose Nächte. Aber jetzt ist es geschafft! Endlich. Einmal noch gehe ich durch die leeren Räume. Schaue mir die schiefen Fußböden an, die verbrauchten Wände, die alten Türen. Und dann verabschiede ich mich. Ich habe dieses uralte Haus geliebt. Für uns Kinder war es die zweite Heimat. Kein Wunder, wer hat schon einen Opa mit einem Spielwarenladen? Der rauschende Bach hinter dem Haus war meine schönste Einschlafmusik. Man konnte in Hausschuhen zum Bäcker nebenan gehen. Auch die lange steile Treppe habe ich geliebt. Wenn ich mit dem Koffer unten stand und von oben mit einem herzlichen Gruß hinaufgerufen wurde, das war jedesmal wie  Heimkommen.  Jede knarrende Diele im Flur habe ich gekannt, jedes Möbelstück, und den Blick vom Erker auf die Straße. Das alte Haus war ein Teil meines Lebens, obwohl ich dort immer nur zu Besuch war. Aber das Schönste war: Meine eigene Familie hat diese Liebe mit mir geteilt.

Und jetzt – ist das alles zu Ende. Wir haben den Haushalt aufgelöst. Der letzte Besitzer, mein Patenonkel, ist verstorben. Und mit ihm ist dieser Teil der Familiengeschichte nun beendet. Aber nicht vergessen! Denn der Onkel hat uns viele Erinnerungen hinterlassen. Fotos, Briefe, alte Urkunden, Hausrat, Tagebücher. Und jede Menge alte Sachen, auch viel Kram, den niemand mehr verwenden kann. In der Familie ist unendlich viel aufbewahrt worden. In dem großen Haus war ja Platz. Es gab einen riesigen Speicher, dort fanden wir die Schätze von Generationen. Wir sind beim Ausräumen manchmal fast verzweifelt.

Und doch: Die vielen Sachen haben mich noch einmal mit der Familie verbunden. Ich lernte meine Urgroßeltern ein wenig mehr kennen, ihre 9 Kinder. Weiß nun ihre Namen, ihre Berufe, ihre Schicksale und was für Typen sie waren. Ich bin ihren Lebensgeschichten begegnet. Und noch einmal meinen Großeltern, der Kindheit meiner Mutter, die dort gewohnt hat bis zu ihrer Heirat. Das Haus hat viel erlebt. Das erzählten die vielen Dinge, das erzählten die Räume. Noch einmal habe ich meine Vorfahren geehrt und ihnen gedankt, dass ich dazugehöre.

Ja, und das alles lebt nun in meinem Herzen. Das Haus aber darf ich loslassen. Es gehört nun jemand anderem. Und das ist wirklich gut so. In die Wohnung werden andere einziehen. Ihnen wünsche ich Glück. Und fühle mich ganz frei!

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