SWR4 Abendgedanken

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„Fastnacht feiern nur die Katholiken.“ So hieß es bei uns zuhause, als ich ein Kind war. Für uns Evangelische sei das nichts, haben meine Eltern gesagt.

Ich weiß noch, wie einmal in der Fastnachtszeit unsere Lehrerin gesagt hat, wir dürften am nächsten Tag verkleidet in die Schule kommen. Meine Mutter hat damals die die Welt nicht mehr verstanden. „Fastnacht ist nur was für Katholiken!“ bekam ich zu hören. Und ich musste am nächsten Tag ohne Verkleidung in die Schule gehen. Das war schon seltsam. Denn ich war das einzige Kind in meiner Klasse, das nicht wenigstens irgendwelche Katzenschnurrbarthaare ins Gesicht gemalt bekommen hatte oder einen Prinzessinnenhut auf dem Kopf trug. Verstanden habe ich das damals nicht, weshalb nicht alle Christen gemeinsam lustig sein sollten und sich zum Feiern verkleiden und dass die Evangelischen in diesem Punkt so streng dachten.

Gott sei Dank hat sich da vieles verändert. Längst ist Fastnacht nicht nur ein Brauch, den nur Katholiken feiern. Heute Vormittag um elf Uhr elf ist wieder der Startschuss für die sogenannte fünfte Jahreszeit gefallen. Bei uns in Rheinhessen und anderswo fängt die Fastnachtskampagne an und die Redenschreiber sammeln Ideen, um launige Vorträge für Fastnachtssitzungen zu verfassen.

Viele Menschen genießen es, sich zum Spaß in eine andere Rolle zu versetzen und investieren eine Menge in fantasievolle Verkleidung. Und die Leute, die das machen, sind heutzutage evangelisch oder katholisch oder weder noch. Inzwischen denke ich, dass Fastnacht ein Fest sein könnte, das alle Konfessionen und alle Religionen und Weltanschauungen verbindet. Ein Fest, bei dem die strengen Regeln und Rollen des Alltags Pause haben. Der Sparkassendirektor zieht sich an wie ein Cowboy, und die Lehrerin erscheint als Pippi Langstrumpf. Und das Wichtigste ist, dass alle miteinander vergnügt sind. Leider  scheinen manche dafür nicht nur eine lustige Verkleidung sondern auch eine Menge Alkohol zu brauchen.

Aber wo es gelingt, dass Menschen einfach nur fröhlich miteinander sind, bringt das Menschen zusammen. Es kann Trennendes überwinden, und mancher Rollenwechsel kann sogar helfen, die Welt und den Alltag mit anderen Augen zu sehen.

Ich finde es gut, dass sich der Umgang mit Fastnacht gelockert hat. Es steht uns gut zu Gesicht, wenn es gelingt, dass alle zusammen fröhlich Fastnacht feiern.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=23095
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