SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

Immer wieder bekomme ich mit, wie Menschen ein Verhalten zeigen, das ich nicht gut finde. Das beschäftigt mich. Zum Beispiel, wenn ich im Verkehrsfunk Meldungen höre über Gaffer bei Autounfällen. Diesen Sommer haben solche Gaffer auf einer Autobahn einen schweren Unfall ausgelöst, weil sie stehen blieben um den Unfall auf der Gegenfahrbahn zu sehen.

Es entsetzt mich, dass Menschen sich dazu hinreißen lassen. Ich kann die Neugier dieser Leute zwar verstehen. Zumindest muss ich mich selbst ja auch überwinden, weiterzufahren und nicht zu gaffen, wenn ich an einem Unfall vorbeikomme. Es ist ja nicht nur die Sensation, das Spektakuläre, das ich hier sehen könnte, wenn Polizei, Feuerwehr und Sanitäter im Einsatz sind. So etwas zu sehen, reißt mich ja völlig überraschend aus dem Alltag und bringt mich unmittelbar an eine Grenzsituation des Lebens: Da sind andere in großer Gefahr und werden vielleicht sogar sterben. Und Angehörige stehen im Schock dabei und sind außer sich. Für die Gaffer ist es vielleicht so, dass diese Leute jetzt etwas erleben, was sie genauso treffen und überfordern könnte, wenn sie an der Stelle der Betroffenen wären. Aber ich verstehe nicht, wie dieser Kitzel einen so weit bringen kann, dass man sich und andere in Gefahr bringt und die behindert, die gerade helfen wollen.

Und fast genauso schlecht finde ich, dass es das umgekehrte Phänomen auch gibt. Wir Menschen sind ja nicht nur Gaffer, ich kenne auch die Versuchung wegzuschauen, wenn es anderen schlecht geht und meine Hilfe gefragt ist. Das ist vielleicht gar nicht böse gemeint. Aber es ist nicht richtig, wenn ich so tue als wäre nichts, nur weil ich nicht weiß, wie ich helfen könnte und mich vielleicht überfordert fühle. Immer wieder höre ich davon, dass viele weiterfahren ohne zu helfen, wenn sie einen Autounfall sehen, der gerade passiert ist. Oder wenn sie miterleben, wie jemand in der Bahn angepöbelt wird. Hier geht es auch um Grenzsituationen und darum, dass man sich darin überfordert fühlt. Aber wegschauen gilt hier nicht. In solchen Momenten muss ich hinschauen und Hilfe rufen. Ich muss mich nicht in Gefahr bringen, aber ich muss mich einmischen.

Beides geht nicht. Dass ich dem Kitzel nachgebe, der mich zum Gaffen bringt, und dass ich wegschaue, wenn andere meine Hilfe brauchen. Ich will nicht im Weg stehen und andere behindern, wenn Hilfe gebraucht wird. Aber ich will dafür sorgen, dass Hilfe ankommen kann.

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