Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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„Wenn ich traurig bin, spreche ich mit einem Baum“ sagt ein kleines Mädchen aus China in einem Dokumentarfilm. Sie gehört zu den ungefähr 61 Millionen Kindern, die ohne ihre Eltern aufwachsen müssen. Ein Teil hat nur Vater oder Mutter, ein großer Teil lebt bei Großeltern, anderen Verwandten oder einfach bei Nachbarn. Und zwei Millionen haben wirklich niemanden. Chinesisch heißen diese Kinder liushu ertong: nestkalte Kinder. Ein kaltes Nest – ohne Papa und Mama, ohne Beschützer, die zu mir gehören. Ich kann mir das richtig vorstellen, wie sie irgendwo auf dem Land leben, in den Bergen, tausend Kilometer entfernt von ihren Eltern, kleine Socken mit zwei, fünf, acht Jahren, die von irgendwelchen älteren Verwandten mit versorgt werden und sich hauptsächlich allein durchschlagen.

Natürlich lassen die Eltern ihre Kinder nicht in böser Absicht allein. China ist ein Land mit großem Wirtschaftswachstum, aber die Arbeit gibt es nur in den Städten. Dort ist Wohnraum und Lebensunterhalt sehr teuer. Also stehen die Eltern vor der Wahl, ihre Kinder in der Armut auf dem Land groß zu ziehen oder ohne sie in die Städte zu gehen und durch mehr Geld die Perspektiven der Kinder zu verbessern. Eine schreckliche Wahl.

Vergangenen Sommer haben sich vier Geschwister das Leben genommen, weil sie ganz ohne jede Hoffnung waren, dass es irgendwann ein warmes Nest geben könnte für sie. Der Älteste war 13 Jahre alt. Der Tod der vier hat die Regierung in China wachgerüttelt; es gibt jetzt verschiedene neue Gesetze. Hoffentlich hilft das. Und ich habe über einen Lehrer gelesen, der die liushu ertong unterrichtet. Er hat sie ermutigt, Tagebuch zu schreiben. So bekommen sie ein Gefühl dafür, wie es ihnen geht und was ihnen fehlt. Ein Mädchen fasste ihre Situation in die Worte: “ich weiß gar nicht, was ich vermisse. Vielleicht brauche ich jemanden, der sich um mich kümmert.“ Glücklicherweise ist dieser Lehrer da.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=22936
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