SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

Sie wollte, dass er ihre Gedichte liest und ihr was sagt. Eine Kritik. Eine Ermunterung. Irgendwas. Schließlich war er doch der berühmte Dichter und: ihr Vater. Er liest die Gedichte nicht. Sagt ihr, sie solle aufhören ihm welche zu schicken. Sie wagt einen Einwand. Die Texte ihres Bruders und ihrer Schwester kritisiere er doch auch. Eben nicht, sagt der Vater, er lese sie erst, wenn sie gedruckt seien. Konversation beendet. Die Tochter geht aus dem Zimmer. „Ich krieg keine Luft mehr“, hört man sie vor sich hinsagen. Eine Szene aus dem Dreiteiler „Die Manns“. Die Tochter heißt Monika, der Vater ist Thomas Mann. Keine ganz normale Familie, aber ganz normale Probleme. Ohne Anerkennung kann niemand leben, erst recht nicht, wenn sich die eigene Familie schwer damit tut. Die Kinder wachsen heran, man hat seine Vorstellungen, seine Wünsche, vielleicht sollen sie das werden, was einem selbst nicht möglich war, sie sollen es mal besser haben, leichter.... Wenn sie aber anfangen zu konkurrieren, ähnliche Talente haben, sich messen wollen. Dann kann’s schwierig werden. Man ist eitler als man wahrhaben will. Manchmal ist man aber schlicht nur nachlässig, oder zu beschäftigt, mit wichtigeren Dingen befasst. Oder meint, man hätte doch längst alles gesagt. „Warum soll ich das Essen loben, ihr seht doch, dass es mir schmeckt.“ Solche Sprüche sind alt, und trotzdem nicht vorbei. Manches erscheint selbstverständlich, ist es aber nicht. Der Mensch lebt eben nicht vom Brot allein. Ohne Anerkennung, ohne Komplimente, ohne Schulterklopfen kommt niemand aus. Egal wie man nach außen tönen mag. Mag sein, dass es Leute gibt, die davon zuviel brauchen, die sich selbst so wenig vertrauen, dass alles wankt, wenn niemand was sagt. Mag sein, dass es Leute gibt, die den Beifall brauchen wie eine Sucht. Alles hat seine Extreme. Mir geht es um die kleinen Sätze. Die Worte zwischendurch, die Signale, die man geben kann. Manches winzige Wort hat schon Wunder bewirkt. Ich freu mich, wenn ich was höre nach einer Predigt, ich weiß aber auch, wie viel Gelegenheiten ich selbst habe vorbeiziehen lassen. Wo ich zwar was Positives gedacht habe, es aber nicht ins Wort brachte. Wo ich vorhatte zu schreiben, und es beim Vorhaben blieb. Und es gab die Momente, wo es endgültig zu spät war und ich nur noch beten konnte, für die, denen ich gerne noch etwas gesagt hätte. Heute gibt es wahrscheinlich wieder Gelegenheiten, über den Schatten zu springen, den Mund aufzumachen, ein Kompliment, ein Lob oder eine faire Kritik hinzubekommen. Nur wer sich als Eisblock wohlfühlt weiß nicht, wie gut das tut. Und wie lebenswichtig es ist, solche Sätze zu hören.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=22927
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