SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

„Der Herr strafe meine Feinde, er lasse ihre Bärte nach innen wachsen!“
Diesen Stoßseufzer kenne ich von einem Kollegen im Schuldienst. Schüler, Eltern - oder waren es vielleicht doch die lieben Kollegen - hatten seinen Adrenalinspiegel wieder einmal so steigen lassen, dass ein kräftiger Fluch Erleichterung verschaffte. In gut biblischer Tradition. Denn das Alte Testament ist manchmal alles andere als zimperlich. Fluchpsalmen der verschiedensten Art überraschen den friedliebenden Leser immer wieder. Kostprobe: “Der Herr vertilge alle falschen Zungen, jede Zunge, die vermessen redet.“ (Psalm 12,4) oder: „...er fange sich selbst in seinem Netz, er falle in die eigene Grube“ (Psalm 35,8) und so weiter und so weiter. Es gibt noch weit aus heftigere Sprüche. Die Beter der Psalmen sprechen oft Tacheles, nehmen kein Blatt vor den Mund.
Sie danken, bitten, toben, lassen Luft ab, trauen sich laut zu sagen, was sie denken. Trotz des Abstands der Jahrtausende kann man sie sich getrost zwischendurch zum Abreagieren vornehmen. Gibt es doch genug Menschen in deren Nähe man nicht gerade in hochchristlicher Topstimmung bleibt, sondern die einem schlicht auf die Nerven gehen. Sie erscheinen, machen den Mund auf und lösen bei mir spontane Gegenreaktionen aus: plötzlicher Fluchtdrang, krampfhaftes Zusammenballen der Hände, Schwinden jeglicher positiven Stimmung, Aktivierung von Ironie und Zynismus, schlicht: sie machen mich aggressiv. Ich muss noch nicht mal Streit mit ihnen gehabt haben. Nur eins ist genauso klar: Wahrscheinlich löse ich selbst bisweilen ähnliche Reaktionen bei anderen aus. Einfach so. Wichtig ist nur, dass es dann Orte und Menschen gibt, bei denen ich dann Dampf ablassen kann. Nichts mit sich selbst ausmachen, keine Aggression nach innen.  Lieber faire Gegner, als geheuchelte Freunde. Nicht besonders christlich?

Doch, im Gegenteil. Jesus von Nazareth hat auch kein Blatt vor den Mund genommen. Allerdings blieb es nicht dabei. Er nannte die Dinge beim Namen nicht um zu verletzen, sondern um Neuanfänge zu ermöglichen. Reinigende Donnerwetter taugen nur dann, wenn sie wirklich neue Horizonte öffnen. Ich wünsche mir ehrlichen und direkten Umgang untereinander. Kein falsches Lächeln, keine schmalzige Rede, wenn nichts dahinter ist. Lieber ein klarer Streit, eine faire und offene Auseinandersetzung und dann die Karten neu mischen.  „Nehmen Sie die Menschen wie sie sind, andere gibt es nicht,“ wusste der alte Adenauer. Oder mit den Worten des Apostels Paulus: „Ertragt einander. In Liebe.“

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