SWR2 Wort zum Tag

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„Gott erschuf den Menschen, weil er vom Affen enttäuscht war. Danach verzichtete er auf weitere Experimente …“ Dieser bekannte, spöttische Satz von Mark Twain zeigt den Frust über den Menschen und über einen Gott, der dieses sein Ebenbild gewähren lässt. Sicher stand ein anderer Zweck dahinter, aber auf diesem Hintergrund hat die vor einigen Jahren in den USA zurückgewiesene Klage des Ex-Senators Ernie Chambers nicht nur einen Spaßfaktor. Chambers hatte gegen niemand Geringeren als gegen Gott selbst Strafanzeige erstattet. Die Anklageschrift hielt Gott vor, für die Verbreitung von Tod, Zerstörung und Terror verantwortlich zu sein, meint also: mangelnde Aufsichtspflicht über seine Geschöpfe. Die Klage wurde in Nebraska zurückgewiesen, wegen – kein Witz – Unzustellbarkeit der Anklageschrift. Das Entsetzen über manches was geschieht ist nur zu verständlich. Nur, ist Gott dafür verantwortlich? Die Gesamtschau der Dinge, das Erklären der Rätsel, das nicht Begreifbare des uns zugemuteten Elends, das – so hoffen wir Christen – wird am Ende aller Tage enthüllt. Bis dahin wird auch Gott selbst mit den Schreien seiner Geschöpfe, seinen Ebenbildern leben müssen; mit ihrer Wut, die sie in den Himmel schleudern, mit der Verzweiflung, für die es keine Erklärung und keine Tröstung gibt. Und Elend gibt es leider immer wieder genug. Zum Beispiel manche Naturkatastrophen, für die niemand, auch nicht der schlimmste Klimasünder verantwortlich gemacht werden kann. Immer wieder so viele, die aus dem Leben gerissen werden. Daran gibt es nichts zu beschönigen und nichts zu befrömmeln. Schon der sonst so gott- und theologiegeübte Jesuitenpater Karl Rahner meinte zu Lebzeiten, dass es einige schmerzhafte Fragen gäbe, die er später Gott stellen wolle. Er wird es mittlerweile getan haben, vielleicht war es auch gar nicht mehr nötig. Diese letzte Überraschung Gottes steht für uns noch aus. Aber diese berechtigten Fragen dispensieren uns nicht von unserer Aufgabe, unsere Freiheit positiv und verantwortlich zu nutzen. Es gibt mehr Leid, das der Mensch selbst verschuldet und verursacht hat, und damit ist verbunden: die Enttäuschung Gottes. „Die Krone der Schöpfung, das Schwein, der Mensch“, sagt der Dichter Gottfried Benn. "Wo bist du, Adam?" Seit dem dritten Kapitel der Genesis, oder für die evangelischen Zuhörer unter uns, seit dem 1. Buch Mose, fragt Gott dies unaufhörlich. Die Versuchung des Menschen war von Anfang an da. Die Versuchung mit seiner Freiheit zu spielen, sie zu missbrauchen, sie nicht im Sinne des Ganzen einzusetzen. Gott hat uns als schönstes und gefährlichstes Geschenk die Freiheit gegeben, hat uns die Welt anvertraut. Er hat sie uns in die Hände gegeben und sie ist uns buchstäblich in die Hände gefallen. So könnte man oft denken. Bei den menschenverachtenden Sprüchen von rechtspopulistischen Demagogen unserer Tage. Bei dem Elend, dass dem Krieg entflohene Menschen bei uns erdulden müssen, wenn Hasserfüllte deren Wohnheime in Brand stecken. Bei der widerlich-selbstüberschätzenden Arroganz man wäre als Deutscher jemand Besseres.  Heute ist der 3.Oktober, unser Nationalfeiertag. Wir erinnern uns an das friedliche Ende der Mauer und an die deutsche Wiedervereinigung. Wir Erinnerung uns an die vielen Menschen, die sie durch ihren gewaltlosen Protest  ermöglicht haben. Ich bin dankbar an einem Tag wie diesem in unserem Land zu leben und ihm anzugehören. In bin auch dankbar, dass wir durch neu Hinzugekommene bereichert werden an Erfahrung und Kultur. Ich bin erleichtert dankbar, dass Deutsch-Sein sich nicht mehr nur durch Blut und Abstammung definiert. Ich gehöre gern zu diesem Volk. Aber noch mehr und lieber gehöre ich mit allen Völkern zu dem einen Volk, dass wir alle zusammen -in aller Verschiedenheit- vor unserem gemeinsamen Schöpfer sind. Vor Gott. Von dem aus gesehen es nur ein Volk gibt. Sein Volk.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=22853
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