SWR2 Wort zum Tag

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Es ist jedes Mal etwas Besonderes, finde ich: Wenn Kinder in die Schule kommen und lesen lernen. Bei unserem Sohn konnte ich das im Laufe des letzten Jahres noch mal genau verfolgen: Wie sich aus dem mühsamen Buchstabieren langsam Wörter geformt haben – und ihm heute bei den meisten Wörtern ein kurzer Blick genügt, um sie zu erfassen.

Für die Mädchen und Jungen, die in den letzten Wochen eingeschult wurden, kommt jetzt bald der spannende Moment. Der Moment, indem sich erschließt, dass in den Buchstaben ein Sinn steckt.

Wenn mir Menschen von ihrem Glauben erzählen, dann erzählen sie manchmal auch von solchen Momenten. Momente, in denen sich ihnen auf einmal etwas erschlossen hat, so wie sich den Kindern in der ersten Klasse die Welt der Buchstaben, Wörter und Texte erschließt. In der Bibel heißen solche Momente „Offenbarung“ – ein wunderbares Geschehen, für das es aber oft gar keine wundersamen Erscheinungen braucht. Manchmal ist es tatsächlich eine Geschichte, ein Text aus der Bibel, den Menschen lesen, dessen Botschaft ihnen plötzlich einleuchtet. Manchmal kann es auch ein Gespräch und eine Begegnung sein. Auf jeden Fall verändert sich in solchen Momenten das Lebensgefühl.

In der Bibel gibt es die Geschichte von einem äthiopischen Beamten, der auf seiner Reise die Bibel liest – aber ohne große Begeisterung. Dann steigt der Apostel Philippus als Mitfahrer auf den Wagen. „Verstehst du, was du liest?“, fragt er. Und erschließt ihm dann den Text. Den Sinn für sein Leben: Dass es um Jesus geht, der gestorben und auferstanden ist. Und darum, dass Menschen deshalb mit ihren Fehlern bei Gott angenommen sind. Dem Beamten geht in diesem Moment ein Licht auf. Er lässt sich taufen. Und, so heißt es in der Geschichte: Er zieht fröhlich weiter.

Wenn Kinder lesen gelernt haben, gehen sie auch mit einem ganz neuen Lebensgefühl durch die Welt – angeregt und meist auch fröhlich. Zu schön ist es, dass es überall Wörter und Buchstaben gibt, die sie jetzt lesen können. Und verstehen. Sinnerfassend lesen, so nennen die Lehrerinnen das. Und die meisten Kinder können es mit etwas Übung irgendwann.

Dass ich die Geschichten und Texte der Bibel „sinnerfassend“ lese – so, dass ich mit dem Kopf und dem Herzen verstehe, was dasteht – das kann ich nicht einfach lernen. Das kommt – oder eben auch nicht. Aber: Lesen üben kann ich in der Bibel schon. So wie die Erstklässler in ihren Fibeln. Die Texte immer wieder lesen oder hören. Und darauf hoffen, dass sich die Botschaft erschließt und mich froh macht, wie den Reisenden in der Geschichte.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=22845
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