SWR3 Gedanken

SWR3 Gedanken

„Damals, als wir fliehen waren, hatte ich auch so einen Zopf, “ sagt das kleine Mädchen. Mir läuft es eiskalt den Rücken herunter. Ich spiele gerade mit Kindern aus Syrien. Sie leben jetzt schon eine Weile in Deutschland und wir können uns ganz normal unterhalten. Nach Kartenspielen und Mensch-Ärger-dich nicht sind wir dazu übergegangen, uns gegenseitig Frisuren zu machen. Und während ich einem Mädchen einen langen Zopf ins Haar flechte, sagt ein vierjähriges Mädchen plötzlich diesen Satz: Damals, als wir fliehen waren, da hatte ich auch so einen Zopf. Mir krampft sich das Herz zusammen. Wer vermag zu erahnen, was in dieser Kinderseele vor sich geht. Im Krieg geboren, in ständiger Gefahr aufgewachsen und schließlich auf der Flucht. Ich habe Angst. Angst davor, dass die Kleine nun von ihrem Leben erzählt. Angst davor, was sie erlebt hat und fühlt. Angst, dass ich mit dem was sie erzählt völlig überfordert bin. Und ich schäme mich. Dafür, dass ich Angst habe, auch nur zu hören, was sie bewegt. Ich bin erwachsen, sie ist ein Kind und sie kann es sich nicht aussuchen. Sie muss damit umgehen.

 

Ich schaue sie an und warte einfach. Innerlich auf Vieles gefasst. Aber auf das, was sie dann tut nicht. Sie zupft ein paar Blumen aus dem Gras und steckt sie in den Zopf des anderen Mädchens. Dann nimmt sie meine Hand und strahlt: „Jetzt ist es ein sehr schöner Zopf!“. Anschließend setzt sie sich einfach hin und beginnt, ihrer Puppe auch Blumen ins Haar zu stecken. Ein Bild vollkommenen Friedens. Ihre Erlebnisse spricht sie nicht mehr an. Aber ich weiß, wenn sie es irgendwann tut, werde ich ihr zuhören. Egal, was es ist.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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