SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

Ist das heute noch eine Frage: Wie komme ich in den Himmel? Den Himmel verdienen, kann ich mir nicht. Das weiß ich. Und ich weiß auch, dass ich das gerne will: weiter leben nach meinem Tod; bei Gott aufgehoben sein, wenn die Zeit hier auf der Erde einmal zu Ende geht. Dass es dann überhaupt keine Rolle spielt, wie ich hier gelebt habe, kann ich mir nicht vorstellen. Ich denke, Gott interessiert sich dafür, was für ein Mensch ich bin. Und gleichzeitig merke ich, wie ich die Frage verdränge, was ich dafür tun muss. Ich glaube, es geht mir da genau so, wie dem jungen Mann, der diese Frage vor zweitausend Jahren Jesus gestellt hat. Meister, was muss ich Gutes tun, um das ewige Leben zu gewinnen? (Matthäus 19,16), fragt der Mann Jesus. Er scheint sehr gläubig gewesen zu sein. Als Jesus ihm nämlich die Gebote aufzählt, an die er sich halten soll, bleiben keine Wünsche übrig. Er hält sich daran: Er tötet niemand, lügt nicht, stiehlt nicht. Trotzdem weiß er, dass das nicht alles ist, dass ihm noch etwas fehlt. Und als er Jesus danach fragt, fällt die Antwort höchst ernüchternd aus:  Wenn du vollkommen sein willst, geh, verkauf deinen Besitz und gib das Geld den Armen; so wirst du einen bleibenden Schatz im Himmel haben; dann komm und folge mir nach.Als der junge Mann das hörte, ging er traurig weg; denn er hatte ein großes Vermögen.  (Matthäus 19,21f.)

Wenn ich diese Stelle in der Bibel lese, weiß ich: Es geht mir genau so. Ich bin wie der junge Mann. Und dann werde ich auch traurig, dass mir das schwer fällt: arm zu sein. Da sind die schönen Dinge, die ich gern habe. Und da sind die guten Absichten, die mich Jesus lehrt. Sie treten in Konkurrenz zueinander, streiten in mir. Und ich sehe nur zu gut, wie ich hinter den Ansprüchen Jesu zurück bleibe.

Ob der emeritierte Papst Benedikt auch an die Bibelstelle mit dem reichen Jüngling gedacht hat? In seinem neuen Buch „Letzte Gespräche“ kritisiert er die deutsche Kirche mit ungewöhnlich scharfen Worten. Er spricht von einem „etablierten und hoch bezahlten Katholizismus“ und ärgert sich über die vielen bezahlten Mitarbeiter, die man sich nur im reichen Deutschland leisten kann. Ich bin einer von ihnen. Und Joseph Ratzinger war selbst einer von ihnen. Und nun? Jesus trifft mit seiner Provokation jeden, der noch nicht so weit ist - sei’s beim Geld, sei’s bei der Liebe. Jesus ist davon überzeugt, dass es den Menschen innerlich frei macht, wenn er sich von äußeren, materiellen Dingen lösen kann, sein Leben Gott überlässt. Da hat die deutsche Kirche noch einen ordentlichen Weg vor sich. Ich auch. Und wohl auch Papst Benedikt.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=22799
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