SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

Wenn ich mit dem Bus fahre, höre ich oft mit, wenn andere sich unterhalten. Unbeabsichtigt. Aber man sitzt oder steht eben so dicht aufeinander, dass andere mithören, was gesprochen wird. Oft handelt es sich bloß um Smalltalk. Manchmal sind diese Gespräche aber höchst interessant. Auf diese Weise kriege ich nämlich mit, was die Leute so beschäftigt. Genauer gesagt: Ich höre, was sie zu aktuellen Themen denken. Und zwar ohne Filter. Die Leute nehmen da ja kein Blatt vor den Mund. Das tut gut, nicht zuletzt, weil damit auch meine eigenen Einstellungen auf den Prüfstand kommen. Das ist für meine Arbeit als Pfarrer wichtig, damit ich mir ein weites Herz bewahre. Und es hat auch Einfluss darauf, über was und wie ich im Radio spreche. 

Neulich haben zwei Männer sich über „die“ Flüchtlinge unterhalten. Der eine von beiden war sich seiner Sache sehr sicher. Und die hat er auch unüberhörbar zum Besten gegeben: Die vielen Fremden. Viel zu viele. Deutsch könne von denen ja keiner, wenn er hierher komme. Damit seien die Probleme vorprogrammiert. Die sollen sich gefälligst richtig vorbereiten, bevor sie zu uns kommen. Offen gestanden hat mich das nicht gewundert, zumal ich Ähnliches schon häufiger gehört habe. Was aber sein Kollege ihm zur Antwort gegeben hat, das hat mich beeindruckt und gefreut. Keine Spur davon, dass der ins gleiche Horn gestoßen hätte. Im Gegenteil. Er hat sein Gegenüber gefragt, ob er sich denn im klaren sei, was er da verlange. Die Flüchtlinge würden ja nicht freiwillig weglaufen, Hals über Kopf. Wer fliehen muss, kann sich nicht vorbereiten. Und dann auch noch Deutsch, so eine schwere Sprache. Er sei dagegen schwer beeindruckt, wie viele gescheite Leute unter den Flüchtlingen seien. Und wie die sich ins Zeug legen würden, um bei uns Fuß zu fassen. Dann hat er noch eine Frage an seinen Gesprächspartner nachgeschoben: „Hattest Du schon Schwierigkeiten mit einem von denen, die zu uns kommen?“ Schweigen. Ich hatte sogar den Eindruck: Beschämtes Schweigen. Mit wenigen klaren Worten hatte der eine den anderen regelrecht entwaffnet. Wie schön, dass es das auch gibt, dass einer den Mund aufmacht und ein anderer sich was sagen lässt. Von solchen Gesprächen lebt unser Miteinander. Gelegenheiten dazu gibt es genügend. Im Bus und anderswo.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=22798
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