SWR3 Gedanken

SWR3 Gedanken

Herzlichen Glückwunsch, Windscale,
wie schön, dass es dich noch gibt.
Eigentlich feierst du ja heute deinen fünfzigsten Geburtstag.
Denn heute vor fünfzig Jahren hättest du sterben können.
Aber du bist mit dem Leben davon gekommen –
und der Rest von Europa auch.
Windscale heißt heute Sellafield
und ist ein Ort in England und hat ein Atomkraftwerk.
Und dieses Atomkraftwerk hat vor fünfzig Jahren gebrannt.
Dabei ist Strahlung ausgetreten, aber angeblich nicht viel.
Menschen sind krank geworden, aber angeblich nicht von dem Unfall.
Es wurde Schmerzensgeld gezahlt, aber davon redet man nicht gern.
Kein Wunder, dass diese alte Geschichte fast vergessen ist,
erst recht, nachdem das Atomkraftwerk unter dem Namen Sellafield ja auch schon wieder mehrere schwere Störfälle hatte.
Und dazu kam ja auch noch Tschernobyl –
aber jüngere Menschen kennen das auch nur als Geschichte.
Viele haben sich heute schon wieder an die Kernkraft gewöhnt
und schimpfen lieber über Windräder,
die die Landschaft verschandeln,
oder über große Luxusautos, die die Luft verpesten.
Und bei mir zuhause bin ich mir auch nicht so ganz sicher,
ob meine elfjährige Tochter wirklich versteht,
warum ich in den Räumen, wo niemand ist,
immer das Licht ausschalte.
Aber anders geht es nicht, glaube ich.
Wenn ich nicht bereit bin,
kleinere und größere Unannehmlichkeiten hinzunehmen,
bleibe ich auch weiterhin vom Atomstrom abhängig.
Und werde dafür dann auch bezahlen müssen –
hoffentlich nicht mit dem Leben.
Darum freue ich mich, dass es dich noch gibt, liebes Windscale;
herzlichen Glückwunsch auch für die Zukunft!

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