SWR2 Wort zum Tag

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Manchmal kommt mir das Leben wie eine Fehlkonstruktion vor. Als ob dem lieben Gott bei der Schöpfung ein Fehler unterlaufen wäre. Vom Kleinkindalter an sind wir Menschen darauf angelegt, dass sich unser Horizont erweitert, dass wir dazu lernen und dass wir unsere Möglichkeiten steigern. Den Höhepunkt haben wir im jungen Erwachsenenalter erreicht. Das stimmt vielleicht in Sachen Allgemeinbildung. Wenn jetzt nur nicht das Altwerden käme. Die sportliche Kondition lässt nach, im Sportverein ist man schon im mittleren Alter in der Seniorenklasse. Später sieht und hört man schlechter, das Gedächtnis lässt nach. Obwohl ich noch im mittleren Alter bin, merke ich, dass ich manchmal schon langsamer reagiere, in Situationen wo ich sonst immer fix dabei war.

Womöglich baue ich eines Tages körperlich so ab, dass ich auf Pflege angewiesen bin oder mein Gedächtnis verliere. Und genau das kommt mir wie ein Konstruktionsfehler vor. Gott hätte den Menschen doch so anlegen können, dass wir uns immer weiter zum Besseren hin optimieren, sowohl geistig als auch körperlich.

Wenn ich so am Hadern bin, kommt mir in den Sinn, was eine Freundin gesagt hat. Sie meint, dass jedes Lebensalter seine eigenen Herausforderungen hat und dass es in jedem Alter Aspekte gibt, die man nur da genießen kann. Sie ist deutlich jünger als ich und hat vielleicht gut reden. Aber ich weiß, was sie meint. Wenn ich mir nämlich vorstelle, dass ich mein Lebensrad zurückdrehen könnte, wird mir deutlich, dass ich nicht mehr zurück will. Ich bin froh, dass ich einiges gut geschafft habe, was hinter mir liegt. Wenn ich an die Zeit denke, in der ich Prüfungen in der Schule und in der Ausbildung gemacht habe, oder die ersten Jahre im Beruf, wo ich neue Probleme lösen musste ohne auf Erfahrung und Routine bauen zu können. Dahin will ich nicht zurück. Ich zehre heute davon, dass ich erfahrener geworden bin. Und vielleicht auch ein bisschen gelassener. Vielleicht stimmt die Konstruktion des Lebens ja doch ein bisschen, weil ich mich ja gar nicht weiter entwickeln würde, wenn ich nur an dem festhalte, was jetzt ist.

Ich will das Altwerden bestimmt nicht schön reden. Es hat diese schwierigen Seiten. Aber das haben die anderen Lebensphasen auch. Aber wenn jede Lebensphase auch etwas Wertvolles bringt, dann kann ich mir ja vorstellen, was das sein könnte. Statt über das Altwerden zu hadern. Ich sehe es ja auch bei vielen älteren Menschen, die ich mir zum Vorbild nehmen kann. Manche von ihnen haben eine innere Freiheit gewonnen, die sie großzügig und tolerant sein lässt. Das sehe ich vor allem in Gesprächen, wo es um politische und religiöse Fragen geht. Und vielleicht ist es ja so, dass mit den Aufgaben, die man geschafft hat, auch die Gelassenheit wächst. Und ein grundlegendes Vertrauen in das, was die Konstruktion des Lebens noch bringen wird.

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