SWR2 Wort zum Tag

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„Es ist das große Aber unseres Lebens.“ „Uns“, damit meint der Frankfurter Politikprofessor Rainer Forst mich und vermutlich auch Sie: Uns Bürgerinnen und Bürger des freien, fortschrittlichen Westens.

Und was ist das „große Aber“? Dass Gerechtigkeit und Fortschritt ungerecht verteilt sind: Die meisten hier leben im Wohlstand, aber in Afrika hungern Millionen. Wir haben ein Dach über dem Kopf, in Aleppo liegt alles zerbombt. Die Welt ist nicht überall friedlich und einigermaßen wohl bestallt. Im Gegenteil: Gutes Leben bei uns geht einher mit vielfältigen Bedrohungen, Unsicherheiten und schierer Not. Seit einem Jahr bringen das nicht nur Fernsehbilder, sondern auch die Menschen selbst zu uns, die davor fliehen.

Unser „Großes Aber“: Die Welt ist von Ungerechtigkeit zerrissen, Rainer Forst nennt das „globale Apartheid“. 500 Jahre Globalisierungsgeschichte haben diese Ungerechtigkeit hervorgebracht. Nicht verhindert.

Mir leuchtet diese Beschreibung unserer Welt schmerzhaft ein. Und auch was Forst daraus folgert: Die politische Herausforderung ist Gerechtigkeit – und zwar globale.

Eigentlich müsste man das spüren im kommenden Jahr. Der Wahlkampf für die Bundestagswahl 2017 beginnt. Die politische Herausforderung für unser Land, das so global aufgestellt ist wie wenige, ist globale Gerechtigkeit.

Von politischen Parteien kann man nicht erwarten, dass sie „globale Gerechtigkeit“ nach vorn bringen, sagen Sie. Warum nicht? Sind sie nicht dazu da, große Herausforderungen anzunehmen?

Und: Wenn nicht politische Parteien, dann wir, als Wählerin und Wähler, wir sind ja der politische Souverän.

Müssten wir nicht globale Gerechtigkeit als entscheidenden Horizont erkennen und in den Wahlkampf tragen? Wenn wir Politiker beurteilen, ob sie wählbar sind.

Für Christen ist das mE. unabdingbar. „Gerechtigkeit“ ist in der Bibel ein ganz fundamentaler Wert. Sie ist für Propheten und Prophetinnen der Horizont, an dem politisches Handeln gemessen wird. Wirkt es gerecht? Auch für die Ärmsten? Für die Schwächsten? ZB. für Witwen und Waisen?

Ins Heute gewendet: Wenn globale Gerechtigkeit der Horizont ist auch in der Flüchtlingspolitik. Dann müsste man mE fragen: Was tut unser Land, damit Fremde bei uns sicher leben können? Was wollt ihr tun, damit Vertriebene wieder zurück können und ihr zerstörtes Land wieder aufbauen?

Aber auch: Wie wirkt unsere Wirtschaftspolitik? Gerecht bei uns? Und nützt sie auch den Armen in Afrika oder treibt sie noch mehr in die Flucht? Und macht so das „große Aber unseres Lebens“ immer brennender.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=22742
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