SWR3 Gedanken

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Heute vor einem Jahr war Mohammed in Budapest. Zusammen mit Tausenden anderen Flüchtlingen hat er dort am Bahnhof kampiert und gewartet, was passiert. Ob die Züge in Richtung Deutschland doch noch fahren oder ob die ungarische Polizei eingreift und dann alles noch schlimmer wird. Heute auf den Tag genau, hat ihn dann frühmorgens die Ungeduld gepackt. Er hat sie nicht mehr ausgehalten diese ganze Warterei, dieses Nichts tun.

Mohammed kann marschieren, früher war er bei der syrischen Armee. Also beschließt er zusammen mit ein paar anderen, dass sie es zu Fuß versuchen: weiter Richtung Norden, Richtung Österreich. Bis mittags werben sie für ihren Marsch. „Wir müssen viele sein, mindestens tausend.“, sagen sie. „Dann kann uns niemand aufhalten.“ Das war am 4. September 2015.

Am Ende schließen sich ihm über zweitausend Menschen an, Familien mit Kindern, alle sind Richtung Autobahn unterwegs. Auf der A1 versucht die Polizei sie aufzuhalten. Aber nach einer kurzen Rempelei weichen die Polizisten aus. Die Flüchtlinge haben der Polizei in dem Moment alles zugetraut: dass sie zuschlagen und schießen. Dass es vielleicht Tote gibt. Es hätte auch anders kommen können.

Vieles hätte anders kommen können Anfang September vor einem Jahr in Ungarn, Österreich und Deutschland. Irgendwann in der Nacht vom 4. auf den 5. September ist Mohammed jedenfalls in einen der Busse gestiegen. Seine nächsten Stationen waren historisch: Grenzübergang Nickelsdorf, Hauptbahnhof Wien, Hauptbahnhof München. Mohammed lebt heute in Zwickau. Er ist vor einem Jahr losgelaufen und hat europäische Geschichte geschrieben. Ein Einzelner, der so viel erreicht hat. So einer wird bestimmt auch hier seinen Weg finden.

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