SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

Vor 10 Jahren verändert sich das Leben meiner Cousine von einem Tag auf den anderen vollkommen. Ein Schlaganfall – wie aus heiterem Himmel. Glücklicherweise ist sofort Hilfe zur Stelle. Aber ihr rechter Arm bleibt gelähmt. Der Alltag ist fortan schwierig zu bewältigen für sie, zumal sie allein lebt. Sie ist nur bedingt belastbar, kann nicht weit laufen. Aber sie organisiert tapfer ihr Leben neu und es ist gut, dass sie nach einiger Zeit der Rehabilitation wieder arbeiten kann, als Elektroingenieurin.

Jetzt, 10 Jahre später, mit Ende 40 hat sie ihren Job verloren, die Firma ist von einem anderen Konzern übernommen worden und man hat sie nicht mehr gebraucht. Jetzt hat sie große Sorge ins Abseits zu geraten. Denn ihre Kollegen sind ihr schon sehr wichtig gewesen. Wie wird es weitergehen? Sie will sich erstmal eine Zeit der Ruhe gönnen. Sich Zeit für Physiotherapie nehmen und sie macht jetzt ein sogenanntes Skilltraining. Dort  kann sie bestimmte soziale Fähigkeiten erlernen oder vervollkommnen: Wie sie besser mit Stress umgehen kann und welche Möglichkeiten es gibt, auf verschiedene Menschen zu zugehen. Und – das halte ich für besonders wichtig, den kompetenten Umgang mit ihren Gefühlen. Sie sagt, das tut ihr sehr gut, nicht nur im Hinblick auf einen neuen Job, sondern für ihr ganz persönliches Leben. Denn ihr ist klar, dass sie keinesfalls ins Abseits geraten will, dass sie Menschen um sich herum braucht, um zufrieden und glücklich sein zu können. Sie singt in einem Chor, schon einige Jahre. Jetzt will sie noch aktiver werden, bei mehr Auftritten dabei sein. Auf einer Hochzeitsfeier in der Kirche haben sie neulich gesungen. Als sie mir davon erzählt hat, klang sie richtig fröhlich.
Dass sie je wieder in ihrem ursprünglichen Beruf arbeiten kann, daran glaubt sie nicht mehr. Trotzdem will sie sich nützlich machen, deshalb übt sie regelmäßig mit Schülern, die eine Leseschwäche haben. Vielleicht findet sie ja einen Job im sozialen Bereich, das könnte sie sich vorstellen. Sie ist bestimmt eine gute Elektroingenieurin gewesen, aber sie hat noch viele andere Fähigkeiten.

Ich wünsche, dass sie viele Menschen trifft, die ihr ermöglichen, diese auch zeigen zu können.
Vor 10 Jahren als sie über Nacht durch den Schlaganfall nicht mehr die Alte war, haben sich einige Freunde und Bekannte zurückgezogen. Meine Cousine meint, weil sie damit nicht umgehen konnten, unsicher waren. Das hat ihr sehr weh getan, aber sie hat in gewisser Weise auch Verständnis. Den Gedanken an Krankheit und damit verbundene Veränderungen verdrängt man gern. Aber jedem kann das passieren. Daran muss ich denken. Dann kann ich bestimmt besser damit umgehen, wenn sich das Leben ändert, für andere Menschen aber auch für mich.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=22690
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