SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

Es gibt ein schönes Gedicht von Johann Wolfgang von Goethe, das ich besonders gern am Abend höre: „Wandrers Nachtlied“ heißt es:

Überallen Gipfeln ist Ruh,
In allen Wipfeln spürest du
kaum einen Hauch;
Die Vögelein schweigen im Walde.
Warte nur, balde
Ruhest du auch.

Es sind einfache Worte, die mich berühren. Ich habe diese Stimmung schon erlebt, an einem Spätsommerabend: Die Sonne war hinter den Bergrücken verschwunden und es lag eine unbeschreibliche Stille über der Landschaft. Ich habe mich wunderbar entspannt gefühlt, meine Gedanken sind ruhiger geworden und eine tiefe Dankbarkeit hat mich erfüllt…

Vor vielen Jahren bin ich an dem Ort gewesen, an dem Goethe „Wandrers Nachtlied“ geschrieben hat: Auf dem Kickelhahn, einem Berg im Thüringer Wald. Und Goethe hat dabei nicht etwa an den Tod gedacht, sondern er war einfach müde nach einem schweren, arbeitsreichen Tag. Er ist von der Stadt durch den Wald auf den Berg gewandert und hat sich dort auf einer Bank ausgeruht.
Goethe war zu dieser Zeit im Staatsdienst beschäftigt. Erschöpft von den Ereignissen des Tages, kreisten seine Gedanken immer noch um die verschiedenen Unannehmlichkeiten und Sorgen. Hier in der Abendstille der Natur, fernab der Betriebsamkeit der Stadt wollte er Ruhe finden.

Ich finde es sehr wichtig, am Abend zur Ruhe zu kommen, Abstand zu gewinnen zu den Ereignissen des Tages. Sonst ist es schwer in einen erholsamen Schlaf zu kommen! Den brauchen wir aber unbedingt um fit für den nächsten Tag zu sein.

Das Leben in unseren Tagen ist viel unruhiger geworden. Die Städte sind laut und die Anforderungen des Berufslebens, des Lebens überhaupt vielfältig und hoch. Viele Menschen sind gestresst und überfordert.

Um zur Ruhe zu kommen hilft mir besonders, raus zu gehen in die Natur, bei jedem Wetter. Versuchen zu mir selbst zu finden . Dabei kann ich mich meist gut entspannen und meine Gedanken ordnen. Das, was ich erlebt habe, überdenken. Was mich angestrengt hat, was mich geärgert hat. Ist das wirklich so wichtig, dass ich mir davon den Schlaf rauben lasse? Der Blick auf die Natur, die ihre abendliche Ruhe ausstrahlt, hilft mir dabei wieder Kraft und vielleicht sogar Mut zu schöpfen. An einem besonders schönen Abend scheint es so, als wollte mir jemand zeigen welch schöne Seiten das Leben hat, wofür ich dankbar sein kann, was wirklich zählt. Und glücklich ist, wer darüber seine Sorgen vergessen oder sie sogar vor dem Schlafengehen vertrauensvoll in Gottes Hände legen kann. Vielleicht mit einem ganz einfachen, persönlich formulierten Abendgebet.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=22687
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