Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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Rio de Janeiro, vor zwei Wochen. Es ist der 16. August 2016. Olympische Spiele, 11. Tag. Zweites Halbfinale der Frauen über 5000 Meter. Nach wenigen Runden stürzt die neuseeländische Leichtathletin Nikki Hamblin. Ihre Konkurrentin Abbey D‘Agostino kann nicht mehr ausweichen und fällt ebenfalls. Das Feld zieht davon, die beiden rappeln sich auf. D‘Agostino aber kann kaum noch laufen. Sie fasst sich mit schmerzverzerrtem Gesicht ans Knie. Nikki Hamblin bleibt stehen, muntert die Amerikanerin auf, reicht ihr die Hand. Und so kommen beide schließlich doch noch ins Ziel – weit abgeschlagen hinter allen anderen Läuferinnen.

Knapp zwei Wochen nach den Spielen habe ich viele Medaillengewinner bereits vergessen. Aber das Bild der beiden Sportlerinnen, die sich gegenseitig ins Ziel helfen, das ist geblieben. Ein Moment, der mich bewegt. Die fairste Geste der Spiele von Rio. Sie macht deutlich: Es kommt nicht in erster Linie auf das Gewinnen an. Sondern darauf, wie Menschen ihren Sport betreiben.

Für mich hat diese Szene Symbolkraft. Weit über den Sport hinaus. Denn in vielen Situationen des Lebens kommt es auch nicht allein aufs Gewinnen an. Im Leben, finde ich, zählt mehr: Es zählt vor allem der menschliche Umgang mit anderen – auch mit Konkurrenten. In einer Welt, in der schon der Zweite der erste Verlierer ist, machen mir die Sportlerinnen klar: Ich kann auch gewinnen, selbst wenn ich abgeschlagen ins Ziel komme. Kann Erfahrung gewinnen, Freunde – und vor allem Selbstachtung. Ich kann mit anderen kämpfen – und es gibt trotzdem einen Weg, aufrecht durchs Leben zu gehen.

Nikki Hamblin ist übrigens für ihren besonderen Sportsgeist mit der selten vergebenen Pierre-de-Coubertin-Medaille ausgezeichnet worden. Zu Recht. Weil sie in ihrem Wettkampf mehr als nur den möglichen Sieg gesehen hat. Weil sie immer noch ein offenes Auge für andere Menschen hatte.

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