Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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„Im Stau ist man wenigstens nicht allein!“ Mein 11 Jahre alter Sohn schaut entspannt aus dem Fenster und sieht sich die anderen Autos an, die um uns herum stehen.

Die Weisheit meiner Kinder beim Autofahren ist oft schwer erträglich. Ich rede schon seit zehn Minuten mit mir selbst und beruhige mich: „Stau ist gar nicht so schlimm. Stau geht auch wieder vorbei. Nur ruhig bleiben.“

Und jetzt so ein Spruch. „Wie meinst du denn das?“ frage ich.
„Nur so. Man ist nicht allein. Es sind noch viele andere mit uns im Stau.“
„Ja, darum gibt es doch den Stau überhaupt. Wenn keiner da wäre, dann gäbe es auch keinen Stau. Und mir wäre das bedeutend lieber.“ Eine Weile ist es still. Dann tönt es wieder von hinten:
„Aber Papa, stell dir doch mal vor, wir wären ganz allein. Nachts vielleicht. Und dann passiert was. Dann wären wir doch froh, wenn wir nicht allein wären.“
„Das ist was ganz anderes.“
„Warum denn? Ich bin froh, wenn ich nicht allein bin.“

Mein Sohn ist nicht gern allein, das stimmt. Er hat immer gern Menschen um sich herum. Er kann nicht mal gut einschlafen, wenn er allein ist.
„Ich bin froh, dass ich nie allein bin.“ Wieder ist es still. Dann, nach einer Weile:
„Gott ist doch immer bei mir, oder? Also bin ich doch nie allein. Und das finde ich schön.“

Langsam fang ich an zu verstehen. Dieses Gefühl, nie ganz allein zu sein. Mutterseelenallein oder gottverlassen. Für mich ist das sogar der Kernpunkt meines Glaubens. Dass Gott da ist, was immer auch passiert. Dass er mit mir meine Wege geht. Sie vielleicht sogar irgendwie lenkt.

Ich weiß nicht so recht, was ich meinem Sohn sagen soll, versuche es mit einem: „Wahrscheinlich hast du recht.“ Mein Sohn beugt sich vom Rücksitz nach vorne, ganz nah an mein Ohr und meint:

„Dann ist es doch auch klar, dass es manchmal einen Stau geben muss. Bei all den Menschen. Wenn die alle nicht allein sind.“
Ich gebe mich geschlagen: „Du hast Recht. Im Stau ist man wenigstens nicht allein. Das ist auch schon ein Trost.“

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