SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

Viele sind in diesem Jahr schon gegangen. Gestorben. Personen des öffentlichen Lebens. Mir kommt es so vor, als ob es mehr sind als sonst. Ein paar Namen nur: Hans Dietrich Genscher, Roger Willemsen, Zaha Hadid, die große Architektin, David Bowie, Elie Wiesel. Und die Reihe ließe sich fortsetzen.

Für mich haben sie etwas gemeinsam: Obwohl ich sie nicht persönlich gekannt habe, alle sind an einem Punkt meines Lebens wichtig geworden. Haben inspiriert, herausgefordert, kulturell geprägt. Und sind mir so näher gekommen als ferne öffentliche Personen sonst. Vielleicht auch Ihnen. Aber nun sind sie gegangen.

Das bedeutet auch: Sie hinterlassen uns ihr Erbe. Als Politiker, Künstler, Publizisten, Menschen. Und das ist keines, das man einfach so mitnehmen könnte und irgendwo ins Regal stellen.

Ich muss es aktiv antreten. Antreten wollen. Besonders deutlich empfinde ich das bei Elie Wiesel. Er hat als Jugendlicher mit 17 Auschwitz überlebt. Anfang Juli ist mit ihm eine der letzten starken Stimmen verstummt, die unermüdlich auf der ganze Welt erinnern können an den Holocaust. Er hat daran erinnert und für ihn war das gleichzeitig die Verpflichtung: Gegen jede Form von Verbrechen gegen die Menschlichkeit aufzustehen und zu protestieren.

Einer der ihn persönlich gekannt hat, hat von ihm gesagt:
„Elie Wiesel war kein Weg zu weit und kein Anlass zu gering, Menschen über die Schrecken und Verbrechen von Auschwitz zu informieren.“

Es gibt immer weniger Zeugen wie ihn, die das aus eigener Erfahrung können. Deshalb ist der Verlust so groß, wenn Menschen wie er gehen. Und erst recht wichtig, dass andere sich als seine Erben verstehen. Aber kann man das? Wenn man nicht erlebt hat, was er erlebt hat? Ich denke schon. Erben bedeutet ja immer, etwas weitertragen, aber auf meine Weise. Mit dem was mir anvertraut wird, eigenverantwortlich umgehen. Und Elie Wiesel ist ja auch nicht ganz stumm. Seine Stimme ist aufgehoben in Büchern, in Zeugnissen. Und in all denen, die er angesprochen hat und beeindruckt.

Und jeder und jede von uns kann ein Stück von seiner streitbare Menschlichkeit in sich lebendig halten und laut werden lassen. Wenn Menschen heute entmenschlicht werden wie die Juden damals. Ein Zitat von Elie Wiesel empfinde ich als besonders wichtiges Erbe für mich. Und es gibt Kraft:

„Ich habe den Glauben an Gott nicht verloren. Ich habe Momente von Zorn und Protest. Manchmal bin ich Gott näher gewesen aus diesem Grund.“ Im Protest gegen Unmenschlichkeit ist man Gott nah. Und Gott uns. Für mich ist das das Erbe von Elie Wiesel.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=22611
weiterlesen...