SWR4 Abendgedanken

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 – Lebenszeit kann verrinnen oder sich vollenden

Von Antoine de Saint-Exupéry stammt ein Satz, über den ich immer wieder nachdenke: „Es ist gut, wenn uns die Zeit, die verrinnt, nicht als etwas erscheint was uns verbraucht, sondern als etwas was uns vollendet.“

Bei meiner Tante Elsa aus Frankfurt scheint dieser Satz zu stimmen. Sie sagt: Mein Leben erfüllt sich mehr und mehr. Gut, sie ist auch schon über 90 Jahre alt. Sie kann sagen: Ich hatte ein schönes Leben. Wenn mein Leben bald endet, kann ich gut Abschied nehmen.

„Es ist gut, wenn uns die Zeit, die verrinnt, nicht als etwas erscheint was uns verbraucht, sondern als etwas was uns vollendet.“

Für mich ist es erstaunlich, dass meine Tante so zufrieden auf ihr Leben zurückblickt. Denn wenn sie aus ihrem Leben erzählt, wird sie manchmal sehr traurig. Sie hat den zweiten Weltkrieg erlebt und viele geliebte Menschen verloren. Nach dem Krieg war ihre Familie ziemlich arm, doch es musste irgendwie weitergehen. Dann sind auch wieder bessere Jahre gekommen. Tante Elsa hat eine gute Arbeit gefunden und geheiratet.

Andere hatten es vielleicht leichter im Leben als meine Tante. Aber sie klagt nicht. Sie staunt darüber, was sie alles erleben durfte. Dankbar sagt sie: Gott hat es gut mit mir gemeint.

Ich kenne einige Menschen, die zufrieden auf ihr Leben zurückschauen. An ihnen fällt mir auf, dass sie sich gern an die schönen Momente in ihrem Leben erinnern. An ein Fest mit der Familie oder an eine besondere Reise.

Vor allem aber erleben sie sich als Teil einer guten Welt. Sie fühlen sich verbunden mit anderen Menschen. Und sie spüren: Es gibt einen tragenden Grund in dieser Welt. Was auch geschieht, es fügt sich letztlich gut zusammen. Für die einen ist es selbstverständlich, hier von Gott zu sprechen. Für andere ist es nicht so eindeutig.

Meine Tante sagt: „Gar keine Frage, ich glaube an Gott.“ Das heißt für sie aber nicht, irgendetwas schönzureden. Es gab zwischendurch Zeiten, da hat  sie sich von Gott allein gelassen gefühlt. Und dann muss sie lachen: Naja, sagt sie, aber irgendwie konnte ich mich doch immer auf Gott verlassen. Es war eben nie alles verloren. Sie spürt diesen tragenden Grund in ihrem Leben. So erscheint ihr das Leben nicht als etwas, das sie verbraucht. Sondern als etwas was sie vollendet.

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