SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

Wenn ich Fotos von früher anschaue, fällt mir zuerst auf, was sich verändert hat.
Anders ging es mir, als ich mit Herrn Wilhelm bei seinem 85. Geburtstag die Fotos von seinen Hochzeitstagen angeschaut habe. Hochzeitstage! Herr Wilhelm hat nämlich alle zehn Jahre am Hochzeitstag ein Foto gemacht.

Das erste Hochzeitsfoto vor über sechzig Jahren zeigt ihn und seine inzwischen verstorbene Frau Martha in der typischen, schlichten Kleidung gleich nach dem Krieg. Das Brautpaar steht nebeneinander in der Tür der Kirche, wo sie eben getraut worden sind.

„Nun bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei.“  „Unser Trauspruch steht im 1. Korintherbrief,“ sagt Herr Wilhelm. Er kann ihn auswendig.

Und dann das nächste Foto. Dasselbe Paar. Dieselbe Kirchentür. Aber zehn Jahre später. Die beiden Menschen auf dem Bild scheinen kaum älter. Nur die Kirchenmauer um die Tür herum ist jetzt neu verputzt.
Und das nächste Foto, wieder zehn Jahre später. Es ist immer noch dasselbe Paar, dieselbe Kirchentür. Von der Kirchenwand bröckelt ein wenig der Putz.

Auch wenn sie inzwischen woanders hingezogen waren: Hans und Martha Wilhelm sind alle zehn Jahre zu der Kirche gefahren, in der sie 1948 getraut worden sind. Dort haben sie dann ihr Hochzeitstag-Foto gemacht.

Die Bilderserie fasziniert mich. Ich bin ganz verblüfft, als mir klar wird: In aller Veränderungen zeigen diese Fotos vor allem eins: Das Bleibende. Diese beiden Menschen, die so lange beieinander bleiben konnten, durch alle Veränderung hindurch.

Herr Wilhelm und ich, wir haben an diesem Tag noch viel darüber gesprochen, was sich verändert hat im Leben seiner Familie im Laufe der Jahre. Und wie ihm und seiner Frau die Liebe zueinander geholfen hat, Schwieriges zusammen durchzustehen. Und wie ihnen der Glaube immer Mut gemacht hat. Und wie sie sich getragen gefühlt haben von der Hoffnung, dass Gott ihnen immer Kraft gibt.

Wie es in der Bibel im Korintherbrief heißt: „Nun bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei.“ Und ich denke: Wie passend doch dieser Trauspruch für diese beiden gewesen ist! Und wie ermutigend es ist, das zu entdecken, was in meinem Leben von Dauer ist, was bleibt. Eine Freundschaft oder eine vertraute Umgebung.

Als ich von dem Besuch bei Herrn Wilhelm nach Hause gehe, bin ich noch lange berührt von dem Gefühl der Dankbarkeit, das ich bei Herrn Wilhelm gespürt habe und was aus seinen Fotos spricht; Bilder, von dem, was bleibt, wenn sich die Dinge verändern.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=22583
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