SWR2 Wort zum Tag

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Der Sommer duftet: Nach Clematis und Rosen, Sommerflieder, frischgemähtem Gras und Weizenfeldern. Wenn ich an den Sommer denke, dann habe ich mit diesem olfaktorischen Feuerwerk die Erinnerung an längst vergangene Sommerferienzeiten und zugleich den letzten Fahrradausflug in die Rheinauen in der Nase. Und obwohl im August der Sommer ja eigentlich schon seinem Ende entgegengeht, ist der August für mich der Sommermonat. Mir tun die armen Schulkinder in Niedersachsen und Thüringen leid, die jetzt schon wieder die Schulbank drücken müssen. Denn im August, so scheint es mir, sollte man viel freie Zeit haben! Zeit, um sich auf eine grüne Wiese zu legen und den Sommer zu erschnuppern, Zeit, um die Seele baumeln zu lassen.

In diesen Zeiten fühle ich mich Gott ganz nah. Ich weiß, ganz strenge Theologen wittern da natürliche Theologie. Plädiere ich etwa dafür, aus der Clematis auf den Schöpfer schließen zu können? Andere mahnen ein geschärftes Bewusstsein Umweltzerstörung an. Beim Anblick der Weizenfelder gelte es, über den Missbrauch von Pflanzenschutzmitteln nachzudenken. Ich finde es sehr sinnvoll, sich für den Schutz der Natur einzusetzen. Und ich verwechsele auch keine Clematis mit unserem Herrgott. Aber ich meine, er hat sich etwas dabei gedacht, als er uns mit Nasen erschaffen hat und manchmal möchte ich einfach nur meine Nase in den Sommer halten und es genießen, dass die Welt so duften kann.

Sogar in der Nacht! In meinem Garten blüht nachts eine Pflanze, die Spanier nennen sie „Galan der Nacht“, in der Tat duftet sie betörend. Das Hohelied Salomos, ein Liebeslied, hat es mit seinen wunderschönen Sprachbildern bis in die Heilige Schrift geschafft, ich vermute schon, weil es in jeder zweiten Zeile duftet. Im ersten Kapitel heißt es: „Mein Freund ist mir ein Büschel Myrrhen, eine Traube von Zypernblumen in den Weingärten, der Duft deiner Kleider ist wie der Duft des Libanon.“ In der Tat: Der Sommer hat für mich auch einen zarten Geruch von Liebe.

Der Sommer duftet und lädt mich ein, mir Zeit zu nehmen, um seine Wunder zu erschnuppern. Am schönen Sommertag, und auch mitten in der Nacht, wenn der Nachtjasmin mich mit seinem Duft einhüllt wie in ein wohlriechendes Laken. Der Sommer duftet und erinnert mich daran, dass jeder Mensch von Gott überschwänglich geliebt ist. Und so sage ich Danke, an einem Sommermorgen im August, für Clematis und Rose, für Weizenfelder und das frischgemähte Gras und dafür, dass ich Zeit dafür habe, diese kleinen großen Sommerwunder wahrzunehmen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=22580
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