SWR3 Gedanken

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Die meisten Erinnerungen an meinen Großvater sind schon verblasst. Er starb vor 36 Jahren und vieles fällt mir nur noch schemenhaft ein. An sein letztes Lebensjahr jedoch erinnere ich mich noch sehr gut. Ich war damals acht Jahre alt und hatte auf einmal Angst vor dem großen, schweren Mann, den ich doch bis dahin so geliebt hatte. Angst vor meinen Opa. Nach einem Schlaganfall war er damals dement und sonderlich geworden. Er lebte zwar mit uns unter einem Dach, aber dennoch in seiner eigenen Welt. Es war eine Welt, zu der ich als Kind keinen Zugang mehr fand.
Die Zahl dementer, altersverwirrter Menschen könnte in den nächsten Jahrzehnten auf bis zu zwei Millionen ansteigen, bei gleichzeitig sinkender Bevölkerungszahl. Eine bedrückende Vorstellung? Der Psychiater Klaus Dörner meint: Nein! Er fordert, Demenz nicht einfach als Verfall und Niedergang zu betrachten. Demenz, so sieht es Dörner, sei einfach eine andere Weise des Daseins, in die mancher Mensch eben am Ende seines Lebens eintritt. Vergleichbar etwa mit der Kindheit, die heute ebenfalls als eigene, geschützte Phase menschlichen Lebens gesehen wird. Eine Erkenntnis, die übrigens nicht mal hundert Jahre alt ist.
An den äußeren Notwendigkeiten ändert dieser Vorschlag natürlich nichts. Weder an der Notwendigkeit einer Betreuung durch Andere, noch an den Kosten für den Heimplatz oder für Hilfsmittel zuhause. Vielleicht ändert Dörners Sichtweise aber etwas an unserer Wahrnehmung. Sie könnte helfen, den Blick auf den dementen Angehörigen zu verändern. Er ist dann eben nicht der hinfällige Rest eines einst stolzen Menschen. Er bleibt der stolze Mensch, der er stets war, der jetzt nur in eine neue Daseinsweise seines Lebens eingetreten ist. https://www.kirche-im-swr.de/?m=2257
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