SWR2 Wort zum Tag

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 „Nur die Religionen sind noch in der Lage verbindliche Moralnormen aufzustellen.“ 
Gregor Gysi hat das so gesagt – Anfang März – in einer Diskussion. Und die Zeitung (swp, Ulm – 8.3.2016), die Gysi so zitiert hat, hat darunter gesetzt:  „der nach eigenen Angaben nicht gläubige Linke“.

Gysi überrascht. Offenbar auch die Zeitungsmacher.
Verbindliche Moralnormen – das erwartet man wohl eher bei Gläubigen.

Dabei tuen sich meinem Eindruck nach gerade in der Kirche viele mit Moralnormen schwer. Sie schämen sich für das jahrhundertelange Moralisieren von Kirchen im Namen Gottes. Und auch im politischen Bereich gilt: Wer moralische Normen setzen will -  etwa für Geschwindigkeitsbegrenzungen oder vegetarische Kost eintritt - der erntet Aufschreie: „Die mischen sich in mein Leben ein!“  „Das geht die gar nichts an!“

Unlängst sagte mir jemand:
Eine Moral haben ist etwas anders als Moralisieren. Das trifft es, finde ich:
Mit dem moralischen Zeigefinger auf Andere  zeigen – sie dabei als Unmoralische outen – Moral vor sich her tragen – bis hin zur Doppelmoral – also: „Wasser predigen und Wein trinken“ – das alles ist für mich: Moralisieren.

Eine Moral haben hieße dagegen:
Das ist meine Norm – ich lebe so. Und ich weiß warum. Ich will Schwachen beistehen. So gut ich kann. Ich will Flüchtlinge unterstützen. Ich will nicht, dass Andere gemobbt werden.

Kann sein, Gregor Gysi hat bei seiner Bemerkung so etwas im Kopf gehabt:
Wie so viele aus christlichen Motiven bei den Nöten von Flüchtlingen zupacken – ohne zu fragen: Was bringt mir das? Und lohnt sich das?

Ich denke: Wir brauchen eine lebendige und ständige Diskussion um gemeinsame Moralnormen. Ganz gleich, ob sie religiös oder anders begründet sind.
Das hilft dem Miteinander. Dabei geht es gerade nicht nur um Verbote. Es geht genau so um´s Erlauben und Eröffnen von Lebensmöglichkeiten.

Wenn es in Psalm 36 heißt: Gott, „dein Recht steht wie die große Tiefe...“ (Psalm 36,7) - dann ist da eine tief in Gott gegründete Lebensweisheit gemeint.
Die Zehn Gebote - die ein Leben in Frieden und Freiheit eröffnen können - gehören dazu. Wie auch:  Der Schutz der Fremden. Die Freude an der Schöpfung, an Köstlichkeiten.

Auch das dafür eintreten, das andere Lebewesen als Geschöpfe Gottes geachtet werden.
Gott, „dein Recht steht wie die große Tiefe...“.
Hier suche ich – nach Moralnormen. Und erlebe: Da ist eine Quelle für eine Moral, mit der ich leben will.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=22524
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