SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

In einem Kriminalroman habe ich folgenden Satz gelesen:

„Sollte am Ende noch Zeit sein, will ich mich nicht fragen, warum ich sterben muss, sondern wissen, warum ich gelebt habe.“

Ich habe mich gewundert, dass so ein tiefgründiger Satz in einem Krimi steht. Aber beim zweiten Lesen ist mir klarer geworden, warum der Satz passt. In Krimis geht es meistens ums Sterben. Und die Akteure im Roman sind damit beschäftigt, die Gründe für diesen Tod zu verstehen. Weshalb ist der oder die umgebracht worden? Hatte jemand ein Motiv? Damit das Gute siegt, muss der Mord aufgeklärt werden. Damit das Leben davor nicht vergeblich war, damit möglichst viel von dem übrig bleibt, was die Person und ihre Zeit auf dieser Welt ausgemacht hat. 

„Sollte am Ende noch Zeit sein, will ich mich nicht fragen, warum ich sterben muss, sondern wissen, warum ich gelebt habe.“ Auch ich will wissen, warum ich gelebt habe. So wie der Satz aus dem Krimi es formuliert. Dass ich sterben muss, weiß ich sowieso. Es lohnt sich nicht, dass ich meinen Tod in Frage stelle. Das ist Zeitverschwendung. Statt dessen könnte ich darauf achten, was ich aus meinem Leben gemacht habe – besser: was ich noch daraus machen will. Wer ums Leben gebracht wird - wie in einem Krimi - der hat vermutlich nicht ausreichend Zeit, um sich mit dieser Frage auseinander zu setzen. Aber ich habe die. Noch. Und ich verstehe im Laufe meines Lebens immer besser, dass es sich lohnt, etwas dafür zu investieren, an Zeit und „Hirnschmalz“. Das bedeutet keineswegs, dass ich das verbissen tue und mit aller Gewalt festhalte, welche Leistungen und Erfolge ich vorweisen kann. Aber von Zeit zu Zeit setze ich mich hin und ziehe eine kleine Bilanz: Wo ich für andere etwas getan habe. Wo ich großzügig war. Wo ich mit einem Menschen eine schöne Zeit verbracht habe und gelacht und geweint habe mit ihm Und ich richte meinen Blick nach vorne: Wo kann ich etwas tun für einen, der's nicht so leicht hat wie ich. Ich muss darüber keine großen Worte machen. Es genügt, wenn ich das für mich festhalte. Und es weiß, so, dass ich es von einem auf der anderen Moment parat habe. Und mir selber sagen kann: Ich weiß, warum ich gelebt habe. Und warum ich gern noch ein bisschen Zeit hätte zu leben. Dann ist, glaube ich, auch der Schrecken vor dem Tod nur halb so groß.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=22261
weiterlesen...