SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

Sind Sie heute schon gestolpert? Oder sogar hingefallen? Dann tröstet Sie vielleicht der folgende Satz: „Das Leben ist ein langer Sturz. Das Wichtigste ist, fallen zu können.“ Aufs erste Hören ist dieser Spruch kein wirklicher Trost. Das Leben - ein langer Sturz. Das verdirbt mir eher die Laune, wenn ich das höre. Weil ich nur mit Widerwillen bereit bin, mein Leben so zu sehen. Schließlich verwende ich einen guten Teil meiner Energie darauf, dass ich schöne Dinge erlebe, mein Leben in geordneten Bahnen verläuft und ich aufrecht bleibe. Ich will mir von dem, was misslingt, nicht die Stimmung verderben lassen. Nicht im Einzelfall und schon gar nicht aufs Ganze meines Lebens gesehen. Eigentlich kommt mir mein Leben wie ein großes Glück vor, wie ein unbeschwerter Spaziergang. Aber bilde ich mir das nur ein? Weil ich alles dafür unternehme, dass keiner die Narben sieht, die von meinen Stürzen geblieben sind? 

„Das Leben ist ein langer Sturz. Das Wichtigste ist, fallen zu können.“ Wenn ich auf die Jahre meines Lebens zurückblicke, kommen tatsächlich eine ganze Menge Stürze zusammen - kleinere und größere. Die größeren haben mein Leben verändert. Als mein Vater gestorben ist, bin ich Wochen später in ein tiefes Loch gefallen. Als mir die Arbeit über den Kopf gewachsen ist, haben meine Seele und mein Körper das auf einmal nicht mehr mitgemacht. Aber ich bin wieder aufgestanden. Heute weiß ich das. Und es fühlt sich gut an. Noch besser allerdings fühlt es sich an, wenn ich es zugeben und darüber sprechen kann. Ja, da hat es Abstürze gegeben, aber ich konnte wieder aufstehen. 

Eine Frage bleibt für mich trotzdem noch übrig: ob ich gut hinfallen konnte, ob ich das im Laufe der Jahre gelernt habe, zu fallen, so wie der Spruch es behauptet: „Das Wichtigste ist, fallen zu können.“ Da bin ich mir nicht so ganz sicher. Ich will nichts von einem langen Sturz hören und vom Fallen lieber auch nicht. Dabei weiß ich doch, als Theologe zumal, dass am Ende meines Lebens ein Sturz kommt, ein letzter Fall. Fragt sich nur: Wohin? Ich habe eine Hoffnung: Dass ich nicht ins Leere falle, ins Nichts. Sondern aufgefangen werde. Von Gott. Dem ich das zutraue. Nur ihm, keiner anderen Macht sonst. Und vorher habe ich noch eine zweite, kleinere Hoffnung: Dass ich es lerne, das Fallen zuzulassen. Vorher, schon jetzt, solange ich lebe, weil es zum Leben auf dieser Erde dazu gehört. Und nichts daran falsch oder schlecht ist.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=22259
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