SWR3 Gedanken

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„Höflichkeit ist wie ein Luftkissen: es mag wohl nichts drin sein, aber es mildert die Stöße des Lebens.“ Nicht schlecht, dieser Spruch des Philosophen Schopenhauer. Zwar findet er Höflichkeit hohl, aber sie puffert wohl die Härten des Alltags ab. Stimmt. In letzter Zeit ist es mir ein paar Mal passiert, dass Menschen höflich zu mir waren. Junge Männer haben mir an einer Tür den Vortritt gelassen. Interessant war für mich, dass es jedes Mal Flüchtlinge waren. Mag Zufall sein, aber dass sie mir als sichtlich älterem Mann Respekt gezeigt haben war so ungewohnt wie angenehm für mich. Auch weil ich in Deutschland eine ziemliche Verrohung der Sitten feststelle. Rechtsruck und Facebook scheinen Grobheiten und Aggressionen salonfähig zu machen. Wenn Leute Angela Merkel einen abgeschnittenen Schweinskopf vor die Tür legen oder der SPD-Politiker Drexler Morddrohungen bekommt, dann ist das die messerscharfe Spitze eines Eisbergs von Verrohung. Einer Verrohung, die mit der Sprache in den unsozialen Medien beginnt und in sich auf Straßen und in Bahnen fortsetzt. Eine Verrohung der mit Höflichkeit nicht mehr zu begegnen ist. Dumpfbacken brauchen Grenzen. Damit sie spüren was in einer zivilisierten Gesellschaft geht, und vor allem was nicht geht. Und damit sich Geschichte nicht wiederholt. Denn vor 70 Jahren waren schon mal Dumpfbacken zugange, die nicht ernst genug genommen wurden und denen nicht rechtzeitig die Grenzen gesetzt wurden. Allen anderen tut ein wenig mehr Höflichkeit gut. Aber nicht die leere Luftkissen-Höflichkeit Schopenhauers, die mehr Form als Inhalt ist. Sondern eine gefüllte Höflichkeit. Eine Höflichkeit, die den so schlichten wie großen Satz christlich-abendländischer Kultur in sich trägt: „Liebe Deinen Nächsten wie Dich selbst.“

https://www.kirche-im-swr.de/?m=22070
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