SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

„Liebe deinen Nächsten wie dich selbst!“ Dieses Wort aus der Bibel ist fast schon sprichwörtlich. Den Nächsten zu lieben ist schon schwer genug, aber sich selber zu lieben finde ich manchmal noch schwieriger. Das ist jeden Tag eine große Herausforderung für mich. Morgens beim Blick in den Spiegel denke ich: dass ist der Mensch mit dem du heute unterwegs bist. Das ist der Mensch, der dir heute am nächsten sein wird. Diesem Menschen kann ich nicht ausweichen. Manchmal bin ich ganz im Einklang mit mir. Erfreue mich meiner Fähigkeiten und Gedanken, genieße die Begegnungen mit meinen Mitmenschen. Dann bin ich dankbar, dass ich so bin, wie ich bin. Dann gibt es die anderen Tage im Jahr, da stehe ich mir selber im Weg. Da gelingt mir vieles nicht. Es fällt mir dann schwer, mich zu lieben, mich so anzunehmen, wie ich jetzt bin. Dann denke ich manchmal: „Lieber Gott, etwas mehr Mühe hättest du dir mit mir schon geben können.“ „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst!“ Der Mönch Bernhard von Clairvaux stellte dazu bereits im 12. Jahrhundert eine Frage: „Wenn du nämlich mit dir selber schlecht umgehst, wem bist du dann gut?“ Ich erkenne in dieser Frage die Einladung mit mir selber gut umzugehen. Zu schauen, dass ich meine Fähigkeiten einbringe. Dass ich mir Auszeiten gönne, um neue Kraft zu finden. Dass ich mir selber zeige, dass ich mich mag. Wenn mir das gelingt, dann kann ich auch  dem Mitmenschen, dem Nächsten, gut sein. Dann kann ich auch in ihm viel Gutes entdecken und Gutes geben. „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst!“ Der Hl. Martin, an den man ja auch im Juni erinnern darf, hat ja in der Begegnung mit dem armen Menschen auch nur eine Hälfte seines Mantels abgegeben. Niemanden wäre geholfen gewesen, wenn statt des Bettlers der römische Hauptmann Martin erfroren wäre. Wenn ich mir Gutes tue und Gutes erlaube, wenn ich aus Liebe zu mir lebe, dann kann ich auch dem Nächsten gut sein. Ihn lieben wie mich selbst.

 

 

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