SWR1 Begegnungen

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„Wie Jesus Menschen auf Augenhöhe begegnen“

Ich treffe mich mit Wilhelm Bruners, geboren 1940, katholischer Priester und Schriftsteller. Seit vielen Jahren begeistert er Menschen durch seine Bibelkurse, Exerzitien und Lesungen aus eigenen Werken. Kennengelernt haben wir uns vor vielen Jahren in Jerusalem. Wilhelm Bruners lebte 18 Jahre dort, begleitete
unzählige Menschen durch Israel und Palästina und erschloss
ihnen das Evangelium in der Umgebung in der es entstand.
Botschaft und Landschaft haben für ihn miteinander zu tun.

Wie ist der Bezug zwischen Topographie, Geographie und der biblischen Botschaft? Und warum verlässt Jesus Nazareth und fängt nicht da an oder geht sofort nach Jerusalem sondern geht an den See Genezareth. Diese Frage hat mich bewegt und hat mich auch nach Jerusalem geführt. Ich wollte ein bisschen herausbekommen was diese Landschaft wie die am See Genezareth mit der Botschaft Jesu zu tun hat.

In einem seiner Texte bezeichnet Willi Bruners Jesus Christus einmal als den im doppelten Sinne „heruntergekommenen Gott“. Menschwerdung könne man sich nicht menschlich genug vorstellen. Dazu gehört das Aufwachsen in einer konkreten Familie und deren Umfeld, die Landschaft in die er hineingeboren wurde, alles was ihm Heimat bedeutete. Und dazu gehört auch, dass er hineingeführt wurde in die Religion seines Volkes. Eines er spannendsten Bücher von Bruners hat den provozierenden Titel: „Wie Jesus glauben lernte“.

Mein Vater hat das so kommentiert: „Ihr kriegt die Kirche noch kaputt.“ Der war also von dem Titel überhaupt nicht überzeugt und meinte der Titel müsste vielmehr heißen „Wie Jesus glauben lehrte“.

Aber Jesus wurde eben Mensch ohne göttliche Privilegien, mit allem Drum und Dran, mit Wiege und Gestillt-Werden, mit Laufen-Lernen und Pubertätsstress, mit Kopfschmerzen und Grippe, persönlichen Freundschaften und familiären Zoff. Wie das Leben so spielt.

Es ist ja so, dass in unserem traditionellen Glaubensbekenntnis das Leben Jesu ja eigentlich gar keine Rolle spielt, sondern da heißt es: „…geboren aus Maria der Jungfrau, gelitten unter Pontius Pilatus…“ Und dazwischen war nichts? Ich denke die eigentliche Botschaft Jesu lag dazwischen und der Tod war dann eine Konsequenz der Botschaft. Also sollte ich mich dann doch mehr auf diese Botschaft konzentrieren und die hat etwas zu tun -ich nenne es immer die Ökumene Jesu- der diese Vielfalt zulässt und nicht irgendwelche Grenzen setzt.

Spürbare Grenzen gibt es jedoch immer noch zwischen den Konfessionen und besonders zwischen den Religionen. Islam und Islamismus werden von vielen nicht mehr auseinandergehalten, Feindbilder geschürt und mit Angst mache Politik betrieben. Wilhelm Bruners, der in Jerusalem viele gemeinsame Aktionen von Christen, Juden und Muslimen erleben und begleiten durfte, hält die steigende Islamophobie für unberechtigt. Er erinnert sich an ein Wort eines anderen theologischen Autors.

Da fällt mir immer wieder ein Satz von Hubertus Halbfass ein, den er schon Ende der sechziger Jahre gesagt hat: „Wir müssen lernen dass Beste aneinander heraus zu lieben“. Dann gilt’s. Überall da, wo sich Menschen so begegnen, auf Augenhöhe, und nicht gewissermaßen ins Kinderzimmer der Religion gehen: welche Religion ist richtiger, welche falsch, welches Glaubensbekenntnis ist besser, welcher Gott hilft mehr etc…? Das sind ja alles Fragen eines religiösen Kinderzimmers.  

Ich habe mich mit dem Priester und Schriftsteller Wilhelm Bruners getroffen. . Dem Menschen auf Augenhöhe begegnen. Diese Formulierung benutzt er gerne und ist für so etwas wie ein Lebensmotto.

Mit Menschen auf Augenhöhe gehen, sie anschauen. Hilde Domin sagte einmal: „Wo Augen dich ansehen entstehst du.“

Menschen auf Augenhöhe begegnen, vorurteilsfrei, neugierig am Anderen und interessiert - das schlägt Brücken zwischen den unterschiedlichsten Charakteren. Für Wilhelm Bruners ist dabei die mythische Gestalt des Hl. Christophorus, der das Jesuskind über einen Fluss getragen haben soll, ein anschauliches Symbolbild.

Der Christophorus ist für mich eine Leitfigur Menschen von einem Ufer ans andere hinüber zu tragen. Zu helfen, dass da eine Verbindung ist, eine lebendige Brücke sein, zwischen den unterschiedlichen Welten, das ist für mich eine der schönsten pastoralen Aufgaben die ich kenne. 

Hilfreich ist ihm dabei seine Liebe zur Lyrik und zur Literatur überhaupt. Seit über fünfzig Jahren schreibt er selbst Texte, die vor allem im Psalmgebet wurzeln. Einen seiner neueren liest er mir vor. Er heisst: Gottpsalm

Ich hörte drei Menschen von Gott reden wenn der erste nicht mehr weiter wusste sprang der zweite ein und ergänzte den ersten wenn der zweite seine Worte beendete schwieg der dritte denn das Schweigen vor Gott war Ihnen ebenso wichtig wie das Reden.

Ich hörte drei Menschen von Gott reden und schweigen und singen

und ihre Lieder waren schön und voller Sehnsucht und voller Fragen denn Gott war in Ihnen.

Ich hörte drei Menschen von Gott reden und und jeder hatte ein anderes Instrument und jeder einen anderen Text aber sie hörten auf einander und keiner wollte den anderen überstimmen und keiner behauptete Gott zu besitzen.

Und so teilten Sie schweigend tanzend und spielend ihre Gottsuche.

 „Je älter ich werde, desto weniger weiss ich von Gott“. Diesen Satz einer 103jährigen Ordensschwester gibt mir Wilhelm Bruners mit auf den Weg. Nicht negativ gemeint sondern als Ausdruck einer Neugier und Offenheit, die leidenschaftliche Gottsucher wie ihn davor bewahren zu festgefügte Bilder von Gott zu haben. Sehnsucht gehört zu Glauben. Nicht nur für ihn.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=22035
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