SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

Für mich hat wieder die Reisezeit angefangen. Vor kurzem war ich in Paris. Da gehört natürlich ein Besuch in Notre Dame und im Louvre dazu. Und wenn ich als Tourist unterwegs bin, beobachte ich immer auch gerne die anderen Touristen um mich rum. Wenn wir gemeinsam in der Warteschlange stehen und dann im Pulk langsam durchs Museum ziehen; die Köpfe meist nach oben gereckt, die Augen aufs Smartphone gerichtet. Aber eigentlich müsste ich doch die Gelegenheit des Augenblicks nutzen und mit eigenen Augen die Mona Lisa anschauen. Und was mach ich? Ich schaue sie auf dem Display meines Smartphones an: Da ist sie kleiner als im Original, mit schlechteren Farben und in einem anderen Licht. Und verwackelt, weil ich meinen Arm nicht stillhalten kann. Fast alle um mich herum machen das so und ich kann kaum widerstehen mitzumachen. Ist ja auch klar, ich will später noch von dem Moment zehren können. Deshalb halte ich ihn im Bild fest. Der Witz dabei ist nur, dass ich da eigentlich von einem Moment zehren will, den ich gar nicht auskostet habe, als ich ihn erlebt habe. Ich bin doch hergekommen, um selber vor dem Bild der Mona Lisa zu stehen und es mit eigenen Augen zu sehen. Und das mache ich jetzt nicht. Weil ich für später vorsorgen will. Aber dazu könnte ich ja ein Bild in einem Bildband anschauen. Das ist mit Sicherheit gut ausgeleuchtet und weniger schräg als das Foto, das ich selbst mache.

Ich bin also wieder nicht bei dem, was ich eigentlich im Urlaub und auf Reisen suche. Ich packe meinen Koffer, mache mich auf den Weg, weil ich eigene Erfahrungen machen will. Ich will die Mona Lisa mit eigenen Augen sehen, wie die Farben im Original wirken und eine Vorstellung haben, wie klein oder groß sie in Wirklichkeit ist. Und ich will Abstand von dem, was mich sonst in Stress versetzt, meine Mails und all der Kram. Denn all das mache ich, damit ich irgendwann solche Momente erlebe wie im Urlaub. Da schließt sich der Kreis wieder. Wenn ich immer nur für die Zukunft vorsorge, lebe ich nie im Jetzt. Nicht einmal dann, wenn das eingetroffen ist, wofür ich geplant und gespart habe. Das ist keine Frage von Urlaubsstimmung, sondern hängt daran, wie ich denke. Dass ich eben nicht nur an das denke, was später ist, sondern sehe, was jetzt ist. Das kann ich im Urlaub. Und auch genau jetzt.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=21994
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