SWR3 Gedanken

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Ich mag keine Bilder vom gekreuzigten Jesus. Die Wunden klaffen, das Blut fließt, Eisennägel stecken in Füßen und Händen. „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ schreit Jesus laut am Kreuz *. Ich mag die Szene am Kreuz nicht gern anschauen, vielleicht auch weil sie ziemlich genau trifft, was es heißt, von Gott verlassen zu sein.

Es gibt ein anderes Bild von Jesus in Berlin, in meiner Lieblingskirche: der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche, die von den Berlinern abfällig, aber durchaus zutreffend als Eierschachtel bezeichnet wird. Sie steht in Charlottenburg, nahe beim Bahnhof Zoo. Es ist wahr, schön sieht sie von außen nicht aus mit ihrem 60er Jahre-Betonbau-Charme.

Tritt man aber hinein - dann wird es ganz still. Und man ist eingehüllt von nichts als Blau. In dieser Kirche kann man Halt machen, wenn man ein bisschen Erholung und Ruhe braucht. Hier drinnen fühlt es sich ein wenig an wie Unterwasser. Das Licht schlägt blaue Wellen. Und mitten in diesem bläulichen Licht schwebt ein goldener Jesus. Kein Jesus am Kreuz, sondern einer, der über den Menschen schwebt wie ein Engel. Er breitet weit die Arme aus, als wolle er die Welt umarmen und sie schützen.

Der goldene Jesus schaut ernst, als ob er das Elend kennen würde. Und doch ist er nicht vom Elend gezeichnet. Im Gegenteil. Für mich strahlt er Leben aus und Energie. Ihn kann nichts umhauen.

Immer wenn ich unter diesem goldenen Jesus stehe, eingehüllt in dieses wunderbar blaue Licht, meine ich Jesu Worte zu hören: „Ich lebe und ihr sollt auch leben!“**

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*(Markusevangelium 15, Verse 34 und 37)

**(Johannesevangelium 14,19)

https://www.kirche-im-swr.de/?m=21986
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