SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

Es gibt gute Gründe - auch psychologische - dafür, dass zwischen Himmelfahrt und Pfingsten Zeit vergehen musste. Ich stelle mir vor, dass die Jüngerinnen und Jünger Zeit brauchten, um ihre Erfahrungen zu sortieren. Gott gönnt ihnen also ein paar Tage und vor allem auch die dazugehörigen Nächte, damit sie sich klar darüber werden, ob und wie sie es weiter mit dem Glauben halten wollen. Ein Psychologieprofessor hat mir erklärt, dass es für die Lösung von Problemen ganz wichtig ist, das Faktenwissen mit dem Erfahrungswissen in Kontakt zu bringen. Reines Faktenwissen macht einen unflexibel, die Beschränkung aufs Intuitive dagegen unsozial. Es ist wichtig, das bewusste Wissen den Intuitionen in Verbindung  zu bringen. Eine Methode ist die Entspannung im Schlaf. Meine Mutter hat das Verfahren auf der Basis ihrer Lebenserfahrung pragmatisch in dem Satz  zusammengefasst: „Schlaf noch mal drüber.“  Der Psychologieprofessor nickt zustimmend. In der Tat ist der Schlaf eine ideale Methode, um rationales Ich und die Erfahrungen des Selbst in Kontakt zu bringen. Am nächsten Morgen ist dann häufig alles klar - und manchmal anders, als man es sich vor dem Einschlafen vorgestellt hatte. Die Lösung ist morgens „wie von selbst“ nach dem Schlaf einfach da und die Menschen sind sich sicher und wissen: Genau das ist die richtige Lösung!

Ich stelle mir also vor, dass die Jüngerinnen und Jünger nach dem Himmelfahrtstag erst einmal gründlich geschlafen haben. Und da es bei ihrem Glauben um eine zentrale Lebensentscheidungen ging, wurden gleich mehrere Nächte Schlaf angesetzt. In den Tagen nach der Himmelfahrt Jesu brachten die Jüngerinnen und Jünger ihre Erkenntnisse und ihre Erlebnisse schlafend miteinander in Kontakt. Ihre Frage lautete: Wie soll es weitergehen? Die Lösung kam dann am Pfingsttag tatsächlich „wie von selbst“, alle fühlten sich inspiriert, geistvoll, sie mussten nicht erst lange überlegen sondern fanden wie von selbst zu Worten, die die Menschen, die ihnen zuhörten, in Erstaunen versetzten.

In der Tat habe auch ich oft erlebt, dass mir morgens etwas klar war, das mir vor dem Einschlafen noch zu schaffen gemacht hat. Auch theologische Fragen haben sich so für mich geklärt. Nach einem Traum habe ich mein Promotionsthema geändert, und das war, da bin ich mir noch heute sicher, genau die richtige mich inspirierende Entscheidung. Im Grunde kann jeder Morgen nach einem guten Schlaf zu einem kleinen Pfingstfest werden. Wie von selbst!

https://www.kirche-im-swr.de/?m=21943
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